Deine Lippen, so kalt (German Edition)
Arme um die Knie. »Aber dann auch wieder nicht.«
»Ich bin zu müde für Rätsel, Kind.« Sie schenkt mir ein erschöpftes Lächeln und streicht mir eine lose Haarsträhne hinters Ohr. »Es waren ein paar sehr lange Tage.«
»Ich weiß und es tut mir ehrlich leid. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machen musst. Ich wollte nicht …« Ich schüttle den Kopf und stütze das Kinn auf die Knie. »Ich wollte eine Menge Dinge nicht.«
»Kannst du mir sagen, welche das sind?«
»Das würde ich lieber nicht.«
Sie seufzt. »Aber du bist nicht schwanger, du nimmst keine Drogen und du wirst nicht von der Polizei gesucht.«
»Richtig.«
»Weißt du, wenn du von heute an offen über deine Kräfte und alles andere reden willst, ist es keine Einbahnstraße mehr.«
Ich nicke. »Können wir nicht einfach von vorn anfangen? Ich verspreche dir, mir geht es gut. Oder zumindest wird es das bald. Ich versuchte gerade, alles in Ordnung zu bringen, was ich falsch gemacht habe, und das muss doch auch etwas zählen, oder?«
Sie presst die Lippen aufeinander und die Flammen im Kamin schlagen ein wenig höher. »So leicht werde ich es dir nicht machen, Wren. Ich werde dich nicht einfach so davonkommen lassen, weil du einen miesen Tag hattest.«
»Darum habe ich dich auch gar nicht gebeten!«
Sie fängt meinen Blick ein und einen Moment lang sind unsere Kräfte und unsere Wut zum Fühlen greifbar. Sie knistern in der Luft zwischen uns. »Ach nein? Aber du hast nicht vor, mir zu erzählen, was dieses Wochenende vorgefallen ist? Du musst verstehen, dass es sehr schwer für mich ist, nicht zu wissen, was du gerade durchmachst.«
»Und für mich ist es schwer … na ja, eine Menge Dinge nicht zu wissen«, sage ich vorsichtig und werfe einen Blick auf ihr Gesicht, um zu sehen, wie sie reagiert. Sie lächelt nicht, aber sie zieht sich auch nicht hinter eine undurchdringliche Maske zurück, und das ist ein gutes Zeichen, denke ich. »Was ich tun kann, was ich bin, was … die Grenzen sind, schätze ich.«
Daraufhin dreht sie sich zu mir um und sieht mich an. Wir sind wie eine Person und deren Spiegelbild. Wie ich hat sie die Arme um die angezogenen Knie geschlungen und das Kinn darauf gestützt.
»Du weiß hoffentlich, wer du bist.« Sie neigt nachdenklich den Kopf, als wolle sie Form und Gewicht der Worte prüfen, die nun folgen. »Du bist ein intelligentes, fantasievolles Mädchen mit einer Menge besonderer Talente.«
So leicht kommt sie mir nicht davon. Ich sehe sie mit hochgezogener Augenbraue an. »Komm schon, Mom. Besondere Talente sind, wenn man richtig gut Geige spielt oder bei jedem Spiel ein Tor schießt. Was wir sind, ist etwas völlig anderes.«
»Du hast recht. Und dieses andere ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, auch wenn die vergangenen Jahre in diesem Haus das Gegenteil zu beweisen scheinen.«
Ich schäle abblätternden schwarzlila Nagellack von meinem Daumennagel. »Du weißt, dass ich mich erinnere, oder? Wie es war, als Robin geboren wurde, bevor Dad uns verlassen hat, als Mari und Gram die ganze Zeit hier waren? Damals war es ein Teil von uns. Er war nicht merkwürdig oder falsch. Ich fand es seltsam, dass andere Mütter nicht die Blumen wachsen lassen oder Feenlichter an die Decke werfen konnten.«
Sie schweigt sehr lange, verloren in der Erinnerung, nehme ich an, und es schmerzt, wie traurig sie aussieht. Aber ich werde mich davon nicht aufhalten lassen. Wenn sie möchte, dass wir offen und ehrlich zueinander sind, darf sie gern den ersten Schritt tun.
»Hat uns Dad deshalb verlassen? Und hast du deswegen aufgehört, so offen damit umzugehen, was wir sind?«
Sie seufzt und mustert mich mit zusammengekniffenen Augen. »Das ist nicht die Unterhaltung, die wir jetzt führen sollten. Du hast Mist gebaut und ich werde nicht die Verantwortung dafür übernehmen, und genauso wenig werde ich zulassen, dass du das Thema wechselst.«
Ich fahre mir mit der Hand übers Gesicht und versuche das verzweifelte Bedürfnis, zu schreien oder etwas durch die Gegend zu werfen, zu unterdrücken. »Das sagst du jedes Mal! Also wann werden wir endlich darüber reden? Hier geht es um mein Leben, Mom.«
Sie beißt sich auf die Unterlippe, bevor sie etwas erwidert, und ich sehe, wie die wütenden weißen Abdrücke, die ihre Zähne dort hinterlassen haben, sich langsam wieder rosa färben. »Dein Vater hatte sehr gute Gründe dafür, zu gehen.«
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, was sie sagen würde. Aber das bestimmt
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