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Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Titel: Deine Lippen, so kalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Garvey
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nicht. Gute Gründe? Was ist das überhaupt für ein Ausdruck?
    »Gut? Gut genug, um fortzugehen und sich nie wieder zu melden? Um so zu tun, als existierten Robin und ich überhaupt nicht?«
    Mom legt den Kopf in den Nacken, als stünden die Antworten an der Decke geschrieben. »Es ist kompliziert, Wren.«
    Darauf wette ich, aber ich will es trotzdem wissen. Es ist ein großer Teil meines Lebens, der, mit einem Tuch bedeckt, all diese Jahre in der Mitte des Raumes gelegen hat, während von uns erwartet wurde, dass wir ihn ignorieren.
    »Hat es an dir gelegen?« Was ich eigentlich sagen will, ist: Bitte sag, dass es nicht an mir lag. Aber ich kann meine Lippen nicht dazu bewegen, diese Worte zu bilden.
    Mom versucht gar nicht erst, die Verletzung in ihrer Stimme zu verbergen. »Nein, es hatte nichts mit mir zu tun. Und auch nicht mit euch Mädchen. Und wenn du glaubst, ich hätte ihn nicht jeden einzelnen Tag vermisst, seit er fort ist, und würde ihn nicht immer noch lieben, liegst du falsch.«
    Einen Moment sehe ich Dannys Gesicht vor mir, Dutzende Gesichter, die sich übereinander legen: Danny, wie er lacht, Danny, der sich konzentriert auf die Unterlippe beißt, während er malt, Danny, der sich vorbeugt, um mich zu küssen, Danny bleich und kalt und starr. Ich verstehe, oder glaube zumindest zu verstehen, aber das hilft mir auch nicht weiter.
    Ich sehe auch Dads Gesicht vor mir. Wie er nah an mich heranrückt, um mir vor dem Schlafengehen eine Geschichte vorzulesen. Wenn ich die Augen schließe, spüre ich seine knochigen Schultern, auf denen er mich durch die Gegend trug und atme den herben, rauchigen Geruch seines Hemdes ein.
    Wer immer entschieden hat, dass Liebe wehtun soll, ist ein Arsch.
    Es ist schon viel zu lange still, und ich sehe zu, wie Mom sich eine Träne von der Wange wischt. Wer immer entschieden hat, dass das Leben wehtun soll, ist ein noch viel größerer Arsch.
    »Es tut mir leid«, sage ich. Ich finde es schlimm, dass sie das so lange mit sich herumgetragen hat, aber mir geht es ja nicht anders. »Ich verstehe das nicht. Wie kann es einen guten Grund dafür geben, nie wieder mit seinen Kindern zu reden? Wie kannst du ihn nach all dem immer noch lieben?«
    Das ist eine dämliche Frage. Ich liebe ihn ja auch immer noch, oder zumindest das von ihm, woran ich mich erinnere. Es ist die Basis all dessen, was ich für ihn empfinde, auch wenn ich sie mit Wut und Verwirrung und dem Gefühl, verraten worden zu sein, übertüncht habe.
    »Du wirst ihn darum bitten müssen, es dir zu erklären, denke ich«, sagt Mom vorsichtig und wendet mir wieder das Gesicht zu, um meinem Blick zu begegnen. Nichts ist verborgen – zum ersten Mal seit langer Zeit steht alles, was sie fühlt, in ihren Augen. »Und ich kann dir helfen, wenn du bereit dafür bist.«
    Einen kurzen Moment rauscht das Blut in meinen Ohren genauso wie in jenem Moment, als Ryan mir erzählte, dass Danny tot sei.
    »Mir helfen?« Meine Stimme droht zu brechen, als ich mich aufrecht hinsetze und sie verwirrt anblinzle. »Du weißt, wo er ist?«
    Sie versucht nicht mal, den Schlag abzumildern. »So ist es. Nun ja, ich weiß, wie ich ihn erreichen kann, um genau zu sein.«
    »Die ganze Zeit über?« Ich komme stolpernd auf die Füße, die prickelnde Energie, die in Schüben durch meine Adern schießt, verlangt nach Bewegung. »All diese Jahre hast du nichts gesagt? Warum zum Teufel, Mom?«
    »Wren.«
    »Nein, Mom!« Ich werde nicht weinen. Das werde ich nicht . Ich bin sowieso viel zu wütend dafür, in meinen Adern hat sich eine eisblaue Kälte ausgebreitet, die spröde knistert. »All diese Jahre habe ich gedacht, er hasst uns! Ich dachte, wir wären ihm nicht gut genug! Und du hast mit ihm geredet?«
    »Komm her.« Ich habe nicht einmal registriert, dass sie aufgestanden ist, aber plötzlich ist Mom an meiner Seite, nimmt meine Hände in ihre und dreht mich um, sodass ich dem Feuer gegenüberstehe. »Mach schon, lass los. Es ist nicht gut, wenn es sich aufstaut, glaub mir.«
    Zuerst bin ich nicht sicher, was sie meint, aber dann öffnet sie meine geballten Fäuste und streckt meine gespreizten Hände nach vorn aus. Ich denke nicht nach, als ich meine Augen schließe und es einfach kommen lasse, so wie sie gesagt hat, und einen Augenblick später zischt das Feuer wild, als Eisstückchen in die Flammen prasseln.
    Es ist genau das Gegenteil von dem, was an dem Tag nach Dannys Beerdigung im Keller passiert ist, und ich kann sehen, dass sie sich

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