Delia 1 - Delia, die weisse Indianerin
hier“, entschied die Mutter. „Anna und Agathe werden für ihn sorgen!“
Delia sah ihre Schwestern an. „Armer Professor“, sagte sie. Dann drehte sie sich um und verließ das Zimmer.
„Willst du uns nicht wenigstens gute Nacht sagen?“ rief die Mutter hinter ihr her.
Delia hörte es wohl, aber sie drehte sich nicht um. Sie wollte nicht, dass die Schwestern sahen, wie bitterlich sie weinte. So unglücklich wie jetzt hatte sie sich noch nie im Leben gefühlt, nicht einmal damals, als der Vater so plötzlich und ohne Abschied fortgemusst hatte.
Sie war überzeugt, dass sie die ganze Nacht kein Auge zutun würde. Dennoch schlummerte sie, kaum fünf Minuten, nachdem sie wieder in ihr Bett geklettert war, tief und fest.
Am nächsten Morgen schlief sie in den hellen Tag hinein und erwachte erst, als der Professor ihr das dicke Federbett fortzog. Sie merkte gleich, dass es schon sehr spät sein musste, und sprang erschrocken aus dem Bett.
Erst als sie die Fensterläden aufstieß und auf den Marktplatz hinabsah, der im Glanz des morgendlichen Frühlingslichts vor ihr lag, fiel ihr wieder die Szene vom vergangenen Abend ein. Aber sie konnte nicht glauben, dass die Mutter sie wirklich fortschicken wollte.
Das muss ich geträumt haben, dachte sie, das kann doch nicht wahr sein!
In diesem Augenblick wurde die Tür zu Delias Kämmerchen von außen geöffnet, und die alte Sophie erschien mit einem voll beladenen Tablett.
„Guten Morgen, Demoiselle Delia“, sagte sie freundlich. „Schon ausgeschlafen?“
„Schon, sagst du? Es muss doch spät sein. Jedenfalls kommt es mir so vor. Was ist los? Warum bringst du mir das Frühstück ans Bett? Bin ich etwa krank oder habe ich Geburtstag?“
„Nichts von Beidem. Ich dachte nur, ich könnte Sie noch ein bischen verwöhnen, Demoiselle!“
Delia war in ihr Bett geschlüpft und balancierte das Tablett, das ihr Sophie reichte, auf den Knien. „Kakao, Eier und Honig“, sagte sie, zufrieden schnuppernd, „mein Lieblingsfrühstück! Wenn ich dich nicht hätte, Sophie!“ Sie trommelte mit dem zierlichen Elfenbeinlöffel auf ein Ei los. „Was ist denn heute für ein Feiertag, dass ich nicht in die Schule muss?“
„Sie brauchen überhaupt nicht mehr in die Schule, Demoiselle Delia, jedenfalls hier in Schönau nicht!“
Delia starrte die alte Sophie entgeistert an. „Was? Das ist ja das Neueste, was ich höre!“
„Aber die Mama hat doch gestern abend schon mit Ihnen gesprochen, Demoiselle Delia! Sie kommen nach Hannover, ins Pensionat!“
„Nein!“ rief Delia und richtete sich so ungestüm auf, dass das Tablett zu Boden gerutscht wäre, wenn Sophie es nicht gerade noch rechtzeitig aufgefangen hätte.
„Aber ja doch, Kindchen! Die Näherin ist ja schon im Haus, um Ihre Kleider zu richten. In vierzehn Tagen geht es los.“
„Und ich dachte“, sagte Delia ganz zerschmettert, „ich hätte das alles nur geträumt!“
„Sie dürfen es nicht so tragisch nehmen, Demoiselle Delia“, mahnte Sophie. „Es ist ja nur für ein Jahr oder höchstens zwei! Und auf den Professor werde ich schon achtgeben, dass er täglich ein paar Leckerbissen bekommt und dass ihm nichts passiert!“ Trotz dieser tröstenden Worte führte Sophie ihren Schürzenzipfel an die Augen.
Delia ergriff ihre Hand. „Bist du traurig, dass ich fort muss, Sophie?“
Sophie ließ sich auf einen Stuhl neben dem Bett sinken. „Ja, Kindchen, sehr! ... Du warst mein Sonnenschein, seit du auf der Welt bist!“
„Aber für Mama war ich wohl eher eine Art Dauergewitter mit Blitz und Donnerschlag. Dabei habe ich sie so lieb, Sophie – so lieb!“
Sophie seufzte schwer. „Es ist ja alles nur, weil der Herr Papa fort ist. Seitdem hat die Mama das Lachen verlernt, und seitdem hat sie’s auch mit den Nerven. Sie kann keine Aufregungen mehr vertragen, das ist es ... und Aufregungen hast du ihr genug bereitet, nicht wahr? Jeden Tag ist dir was Neues eingefallen, und wenn man Migräne hat und Kummer wie die Frau Mama – und dazu noch die Sorge mit den beiden großen Mädchen, die unter die Haube gebracht werden wollen , dann ist das eben zu viel. Aber lieb hat sie dich trotzdem, Kindchen.“
„Ich verstehe schon“, sagte Delia düster. „Bloß dass sie meine Gegenwart nicht mehr ertragen kann! Lass nur, Sophie, wahrscheinlich bin ich selbst schuld. Vielleicht hätte ich doch braver sein können, wenn ich mich nur ein wenig zusammengenommen hätte. Aber jetzt ist es wohl zu spät.“
Sophie besann
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