Delia 3 - Delia im Wilden Westen
heutzutage, und André hatte schon allerhand erlebt und zu hören bekommen. Aber die Abenteuer, die Delia mit Akitu erlebt hatte, die waren doch das Tollste, was ihm je zu Ohren gekommen war.
„Und weiter?“ fragte er. „Wie ging es weiter?“
Dabei vergaß er vor Aufregung fast zu essen, während Delia das Kunststück fertigbrachte, tüchtig reinzuhauen und dabei zu reden, wobei sie immer noch ihren Mops mit den besten Bissen bedachte.
„Und jetzt, wo reitest du jetzt hin?“
„Nach Westen“, sagte Delia, „immer weiter nach Westen. Ich glaube, dass mein Vater unter die Goldgräber gegangen ist.“
André holte tief Atem. „Am liebsten würde ich dich begleiten!“
Delia sah ihn an — ja, sie wäre schon recht froh gewesen, einen starken Kameraden wie André an ihrer Seite zu haben. Aber durfte sie ihn zum Weglaufen verführen?
„Deine Eltern würden es nie erlauben!“
„Du hast ja auch deine Mutter nicht gefragt!“
„Ja, aber meine Mutter wollte mich loswerden“, sagte Delia. „Sie wollte mich nicht bei sich behalten, das war etwas ganz anderes! Dich brauchen deine Eltern doch, nicht wahr?“
André seufzte. „Leider.“
„Sei nicht traurig, André“, sagte Delia. „So wunderbar ist es nun auch wieder nicht, mutterseelenallein durch die Welt zu ziehen. Ich werde schon recht froh sein, wenn ich meinen Vater endlich gefunden habe und wieder nach Hause fahren kann.“
„Bist du sicher, du findest ihn?“
„Ganz bestimmt. Ich werde eben so lange suchen!“
Sie plauderten noch eine Weile miteinander wie zwei gute Freunde, bis der Mond durch die Bäume schien. Dann nahm André Delias Pferd beim Zügel und führte es durch den Wald auf einen breiten Weg hinaus.
„Hier entlang musst du reiten“, sagte er. „Die Straße führt nach Westen! Wenn ein Dorf kommt, schlägst du einfach einen Bogen!“
„Warum?“ gab Delia zurück. „Jetzt kann ich mich doch überall sehen lassen?“
„Ja, das stimmt!“
Delia schwang sich auf ihren Mustang. Sie spürte, der Abschied fiel ihr schwer, und auch André machte keine Anstalten, sich abzuwenden.
Plötzlich zog er den kleinen Lederbeutel mit Delias Mundharmonika aus der Tasche. „Da, nimm!“ sagte er.
„Aber … wir haben doch getauscht!“
„Ach was! Ich kann ja gar nicht spielen, und dann ... du kannst sie besser brauchen als ich!“
Delia zögerte nicht länger, sie griff zu. „Ich danke dir, André, das war das schönste Geschenk, das du mir machen konntest!“
Er gab ihrem Pferd einen leichten Schlag auf die Hinterhand. „Nun verschwinde aber, schnell ... sonst fange ich am Ende noch an zu heulen!“
Der Mustang machte einen Satz, Delia gab ihm die Hacken und sprengte davon.
Doch als sie schon ein paar hundert Meter geritten war, drehte sie sich noch einmal um. Da sah sie André, sehr klein und schon sehr weit entfernt, am Waldrand stehen. Sie schwenkte ihren Cowboyhut und sah, wie er zurückwinkte.
Schade, dachte sie, sehr schade, dass ich keinen Bruder habe. Mit einem Bruder wie André da wäre alles viel leichter!
Bald dehnte sich wieder die Prärie endlos vor Delia. Und doch hatte sich die Landschaft unmerklich verändert. Es gab keine Felder mehr und keine Siedlungen, dafür aber tauchten Felsenzüge und tiefe Schluchten auf.
Jetzt erst wurde Delia ganz bewusst, wie riesengroß und wie leer Amerika immer noch war. In der Heimat war sie, auch wenn sie das Städtchen Schönau verließ, immerzu Menschen begegnet, und die meisten hatte sie sogar gekannt: Kinder, die auf der Wiese spielten, alte Frauen, die Pilze oder Holz im Wald suchten, Jungen, die sich am Fluss vergnügten. Es war ihr ganz selbstverständlich gewesen, dass man nur im eigenen Zimmer, wenn man die Türe abgeschlossen hatte, wirklich sicher sein konnte, allein zu sein.
Aber hier in Amerika konnte man stunden-, ja tagelang reiten, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Nichts deutete darauf hin, dass hier überhaupt jemals Menschen gewesen waren. Es gab Tiere genug, kleine und große, es gab die Skelette und Knochen verendeter Büffel, aber weder Weg noch Steg noch die Spur eines Menschen.
Wenn Delia nicht ihren Mops bei sich gehabt hätte, hätte sie sich sicher gefürchtet. Auch so gab es Stunden, in denen sie sich sehr verlassen und verloren vorkam. Aber dann schickte sie ein rasches Gebet zum Himmel, spielte ein bisschen auf ihrer Mundharmonika oder redete mit dem Professor, der ihr so aufmerksam zuhörte, als ob er jedes Wort verstünde.
Am Abend
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