Die Principessa
Prolog: 1667
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.« Es war in der ersten Morgenfrühe, der Stunde, in der die Nacht ihre böse Seele aushaucht. Mit feinem Klang schlug die Turmuhr von Santa Maria della Vittoria an, um die Gläubigen zum Angelus zu rufen. Noch war die dunkle Kirche menschenleer, nur im Schatten einer Seitenkapelle kniete eine vornehme Dame. Ein Schleier aus feiner, durchsichtiger Spitze umhüllte ihr weißes Haar und ihr Gesicht wie die Aura ihrer einst vollkommenen Schönheit. Lady McKinney war ihr Name, geborene Clarissa Whetenham, doch die Römer nannten sie »die Principessa«.
Fast ein Menschenleben hatte sie in Rom verbracht, doch noch immer empfand sie dieses kleine Gotteshaus als ein Refugium in der Fremde. Mit einem Seufzer senkte sich ihre Brust, während sie das Kreuzzeichen schlug, um sich zu sammeln.
Warum war sie zu dieser frühen Stunde hierher geflohen? Um zu Gott zu beten?
Clarissa schlug die Augen auf. Vor ihr, auf dem Altar, schimmerte im Schein der Kerzen das marmorne Antlitz einer Frau. Ihr Gesicht war von seligem Entzücken erfüllt, während ihr zu Boden gesunkener Leib sich einem Engel hinzugeben schien, der eine Lanze auf sie richtete. Wegen dieser Figur war Clarissa einst wie eine Heilige verehrt worden, wegen dieser Figur hatte der Papst sie als Hure verdammt. Denn das Gesicht dieser Frau war
ihr
Gesicht, der Leib
ihr
Leib.
Sie faltete die Hände um zu beten, allein in Gottes Gegenwart, doch sie konnte es nicht. Ihre Lippen formten Sätze der anderen. »Ein Pfeil drang hin und wider in mein Herz«, flüsterte sie die Worte der Frau aus Stein, in der ihre eigene Jugend gebannt war. »Unendlich war die Süße dieses Schmerzes, und die Liebe erfüllte mich ganz und gar …«
Eilige Schritte schreckten sie auf.
»Vergebung, Principessa, aber man hat mir gesagt, dass ich Sie hier finde.«
Vor ihr stand ein junger Mann, das Haar zerzaust, das Wams offen, ein Hemdzipfel aus der Hose, als hätte er die Nacht in den Kleidern verbracht. Es war Bernardo Castelli, der Gehilfe und Neffe ihres Freundes – des einzigen Menschen, der wirklich ihr Freund war. Als sie Bernardos angsterfülltes Gesicht sah, fühlte sie ihre bösen Ahnungen bestätigt.
»Steht es so schlimm?«
»Noch viel schlimmer!«, sagte Bernardo und tauchte seine Hand in ein Weihwasserbecken.
Draußen stand Clarissas Kutsche bereit. Im scharfen Trab rasselte sie durch die Gassen der allmählich erwachenden Stadt. Hier und da wurden die ersten Fenster geöffnet, verschlafene Gesichter lugten aus Türöffnungen hervor, ein paar Bäckerjungen eilten zur Arbeit. Plötzlich öffnete sich ein riesiger Platz vor Clarissas Augen, und wie ein Schneegebirge ragte der Dom von Sankt Peter in den Himmel empor, an dem die letzten Sterne erloschen.
Der Anblick versetzte ihr einen Stich. Hier hatte der Mann, den sie liebte und den sie hasste wie keinen zweiten Menschen auf der Welt, den größten Triumph seines Lebens gefeiert. Die Piazza war noch übersät von den Spuren des Jubelfestes, über zweihunderttausend Menschen hatten daran teilgenommen. Clarissa versuchte, Bernardos Worten zu folgen, der aufgeregt wirre Dinge berichtete, von Teufeln und Dämonen, die seinen Herrn befallen hätten, doch es gelang ihr nicht. Sie hatte nur eine bange Frage: War auch ihr Freund auf der Piazza gewesen?
Endlich bog die Kutsche in den Vicolo dell’Agnello ein. Auf dem Dach des windschiefen Hauses, über dem ein fahlgrauer Streifen den neuen Tag ankündigte, schimpfte eine Schar Spatzen, als Clarissa aus der Kutsche stieg. Die Haustür stand noch auf. Sie raffte ihren Rock und bückte sich, als sie durch die niedrige Tür trat. Ein scharfer, brandiger Geruch schlug ihr entgegen.
»Heilige Muttergottes!«
In der Küche sah es aus wie nach einem Überfall. Tisch und Stühle waren umgestoßen, auf dem Boden lagen angesengte Manuskripte und Schriftrollen verstreut, im offenen Herd loderte ein mächtiges Feuer.
»Pssst! Was ist das?«
Clarissa hielt den Atem an. Vom oberen Stockwerk war ein Rumpeln zu hören, dann ein dumpfer Aufprall. Im nächsten Moment ertönte ein Schrei, als würde ein Tier geschlachtet. Entsetzt schaute sie Bernardo an. Der schlug ein Kreuzzeichen und murmelte ein Stoßgebet. Sie drängte ihn beiseite und eilte die Stiege hinauf, zum Schlafraum seines Herrn.
Ein leises Röcheln empfing sie, als sie den Riegel löste und die dunkle Kammer betrat. Sie stieß ein Fenster auf, um etwas zu
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