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Delia, die weisse Indianerin

Delia, die weisse Indianerin

Titel: Delia, die weisse Indianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Louise Fischer
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auf das Kopfsteinpflaster hinab, reichte Delia hilfreich die Hand. „Kommen Sie, Fräulein, hier wechseln wir die Pferde! Sie haben Zeit für eine warme Mahlzeit!“
    Delia kletterte folgsam herunter, der Professor hopste hinterdrein. Aber Delia dachte nicht daran, mit den anderen Fahrgästen in den „Goldenen Löwen“ zu gehen. Sie wusste, dass die Mutter ihr mehr als genug zu essen eingepackt hatte, und holte den Proviantkorb aus der Kutsche heraus. Sie setzte sich auf die steinerne Bank vor dem Wirtshaus und begann mit gutem Appetit zu schmausen. Der Mops half ihr dabei.
    Als beide, Herrin und Hund, satt waren, begannen sie sich zu langweilen. Sie liefen in den dunklen Gang des Hauses, steckten die Köpfe in die Gaststube – die Mitreisenden saßen um eine lange Tafel, aßen und tranken.
    Rasch zog Delia die Tür wieder ins Schloss und rannte mit ihrem Mops auf den Hof des Wirtshauses. Dort wurden die Pferde, mit denen sie gekommen waren, gerade gefüttert und getränkt; die neuen waren noch nicht eingespannt. Also blieb noch Zeit bis zur Abfahrt, Zeit, sich ein wenig in der fremden Stadt umzusehen.
    Delia stellte ihren Proviantkorb wieder in die Kutsche zurück, nahm ihre schön bestickte Reisetasche heraus, öffnete sie, um zu sehen, ob noch alles darin war – ihre Papiere und die fünf Goldstücke, die die Mutter ihr auf die Reise mitgegeben hatte. Ja, glücklicherweise war noch alles da, und Delia schwor sich, die kostbare Tasche nie mehr aus den Augen zu lassen. Sie packte sie beim Griff und begann höchst würdevoll, ganz Dame und Weltreisende, in der kleinen Stadt umherzuspazieren; sie genoss es, dass die einheimischen Kinder sie unverhohlen bestaunten. Sie begann, sich in ihrem hübschen Kostüm mit dem langen Rock und dem kleinen Hut sehr schick zu finden.
    Dann fiel ihr auf, dass die meisten Kinder – Jungen und Mädchen – eine bestimmte Richtung einschlugen, und unwillkürlich folgte sie ihnen.
    ‚Ich will nur sehen, was es Interessantes gibt‘, dachte sie, ‚dann laufe ich gleich zurück! Ich darf ja die Abfahrt nicht verpassen!‘
    Fünf Minuten später waren all ihre guten Vorsätze vergessen. Auf einer Wiese nahe der Stadtmauer hatte ein Wanderzirkus seine Zelte aufgeschlagen!
    Delias Herz schlug höher. Beinahe hätte sie ihre damenhafte Würde vergessen und wäre auf die kleine offene Arena, die die Zirkusleute aufgebaut hatten, zugerannt. Ein Zirkus! Das bedeutete für die Kinder der damaligen Zeit, die weder Kino noch Fernsehen, nicht einmal Radio oder Schallplatten kannten, noch viel, viel mehr als heute! Ein richtiger Zirkus – für Delia war das einfach das Höchste!
    Sie drängte sich durch den Kreis der gaffenden Kinder bis an die niedere Holzbarriere heran, sah staunend dem kleinen Mädchen zu, das sich – kleiner und zierlicher als sie selbst, und sicher auch nicht älter – graziös und sicher auf einem hochgespannten Seil vor und zurück bewegte, ja sogar kleine Sprünge wagte, Pirouetten drehte, sich in den Spagatsitz auf das Seil hinabgleiten ließ.
    Die kleine Seiltänzerin hatte feuerrote Locken und ein feines Gesicht mit kleinen Sommersprossen auf der Nase. Sie trug ein weißes Trikot mit einem weit abstehenden Röckchen und hielt in der Hand einen spitzenbesetzten Sonnenschirm, mit dem sie geschickt balancierte.
    Delia war hingerissen vor Begeisterung. Beinahe hätte sie dem großen Jungen, der mit einem Teller herumging, um zu kassieren, aus Versehen eines ihrer kostbaren Goldstücke gegeben – im letzten Augenblick legte sie etwas Kleingeld darauf. Die Seiltänzerin rutschte zu Boden, knickste graziös nach allen Seiten und verschwand.
    Wenig später wackelte ein Hanswurst in die Manege, eine komische Gestalt mit weiten Hosen, hohem, spitzem Hut und weiß gepudertem Gesicht. Ihm folgte auf dem Fuß ein kleiner weißer Spitz, der ebenfalls einen Hut trug, dazu eine bunte Schleife um den Hals.
    Als der Professor den anderen Hund entdeckte, geriet er außer sich und wäre mitten in die Manege gesprungen, wenn Delia ihn nicht gerade noch rechtzeitig am Nackenfell festgehalten hätte.
    Der Hanswurst und sein Hund machten allerlei komische Kunststücke, über die Delia mit den anderen Kindern herzlich lachte. Dann holte der Hanswurst eine Ziehharmonika aus seiner weiten Hose – ja, tatsächlich aus seiner Hose! – und begann, einen Walzer zu spielen. Bei den ersten Tönen horchte der kleine Spitz auf, stellte sich auf die Hinterbeine und drehte sich tänzelnd um sich

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