Delia, die weisse Indianerin
den Garten, um ihre Verwandten zu überraschen. Sie schlich sich regelrecht heran und freute sich jetzt schon auf das Hallo, das entstehen würde, wenn sie plötzlich am Fenster der großen Wohnstube erschien.
Doch dazu sollte es nicht kommen. In der Geißblattlaube, die im Sommer einer von grünen Blättern und hellen Blüten geschützten Höhle glich, jetzt aber noch kahl und nur mit den ersten winzigen Knospen geschmückt dastand, entdeckte sie ihre Cousine Babette.
Babette kauerte auf einem Bänkchen, hielt ihre Puppe fest ans Herz gepresst und weinte bitterlich.
„Babette!“ rief Delia und vergaß ganz, dass niemand ihr Kommen bemerken sollte. „Was hast du denn? Haben die Jungen dich geärgert?“
Babette hob für einen Augenblick den Kopf. Ihre vergissmeinnichtblauen Augen schwammen in Tränen; ihr spitzes Gesichtchen war ein Bild des Jammers.
„Ach, du bist es!“ sagte sie nur und schluchzte weiter.
Der Mops war zu ihr hingelaufen, hob sich auf die Hinterbeine und begann, die Puppe zu beschnuppern, eine sehr feine Dame mit starrem Porzellangesicht, blonder Lockenperücke, modischem Seidenkleid und langen Spitzenunterhosen.
„Geh weg!“ rief Babette schmerzerfüllt, stieß den Hund fort und drückte ihre Puppe fester an ihr Herz.
„Nun stell dich nur nicht so an“, sagte Delia ungerührt. „Er tut deiner blöden Rosa schon nichts!“
„Rosa ist nicht blöd!“ verteidigte Babette ihre Puppe und vergaß vor Ärger sogar zu weinen.
„Na ja“, sagte Delia und setzte sich neben die Cousine. „Aber sie kann nicht sprechen und nicht laufen, und überhaupt weiß ich nicht, was du an ihr findest!“
„Wenigstens sieht sie wie ein Mensch aus und nicht wie ein Ungeheuer!“
Delia lachte. „Professor, hast du das gehört? Du sollst wie ein Ungeheuer aussehen!“
„Tut er auch“, sagte Babette hitzig. „Und es ist direkt eine Schande, dass du ihn Professor nennst! Das ist doch kein Name für einen Hund!“
„Doch“, behauptete Delia. „Jedenfalls für einen so klugen Hund wie meinen Mops!“
Sie betrachtete ihre Cousine aufmerksam. Auch Babette trug ein Kleid, das bis zu den Waden reichte, aber ihres war nicht aus Seide, sondern aus blau-weiß gestreiftem Leinen, und sie hatte eine kleine weiße Schürze darüber gebunden. Sie war ebenso alt wie Delia, aber einen halben Kopf kleiner. Ihre Haut war weiß und rosa, nicht bräunlich wie die Delias. Das Haar hatte sie über den Ohren mit himmelblauen Schleifen gebunden, aus denen sich hellblonde Locken bis auf die Schultern ringelten.
Wie immer kam sich Delia ihrer Cousine gegenüber stärker und erwachsener vor; sie fühlte sich geradezu für sie verantwortlich. „Streiten wir uns doch nicht“, sagte sie friedfertig. „Deine Rosa ist die schönste Puppe und mein Mops der klügste Hund, einverstanden? Aber jetzt erzähl mir endlich, warum du so geweint hast!“
Über dem kleinen Streit mit der Cousine hatte Babette ihren Kummer beinahe vergessen. Jetzt, da Delia sie daran erinnerte, überkam er sie wieder mit ganzer Macht.
„Wir müssen fort!“ rief sie verzweifelt. „Fort von hier ... von allem, was wir lieb haben ... weit weg!“
„Das kann doch nicht sein, Babette“, sagte Delia ungläubig. „Du hast irgend etwas aufgeschnappt und falsch verstanden!“
„Nein, es ist wahr! Mein Vater hat uns heute nach dem Frühstück alle zusammengerufen und es uns erklärt. Wir wandern aus – nach Amerika!“
„Was?“ Delia stand mit einem Satz auf den Füßen.
„Und deshalb weinst du? Aber Babette, das ist doch herrlich!“
„Nein, es ist entsetzlich“, sagte Babette. „Ich werde krank, wenn ich nur daran denke!“
In Delias kleinem Kopf bildete sich sofort ein Plan. „Du, hör mal“, sagte sie, „wenn es so ist – warum tauschst du nicht mit mir? Ich wandere gern nach Amerika aus, und du kannst in Schönau bleiben.“
Babette schüttelte ihren Kopf, dass die blonden Locken flogen. „So etwas kannst auch nur du dir ausdenken! Glaubst du im Ernst, ich würde Vater und Mutter und die Brüder verlassen?“
„Na, dann eben nicht“, sagte Delia enttäuscht. „Es war ja auch nur ein Vorschlag.“ Sie setzte sich wieder. „Warum müsst ihr denn weg?“
„Weil der Fürst die Pacht erhöht hat und Vater sagt, nur in die Tasche des Fürsten will er nicht arbeiten. Dann gibt er lieber hier alles auf und fährt nach Amerika. Dort ist Land, viel Land, und man kann es billig bekommen.“
„Da hat Onkel Johannes recht“,
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