Delia im Wilden Westen
einfach war. Sie brauchte nur gleich morgen früh zum nächsten Fort zu reiten und ihre Geschichte zu erzählen. Wenn man sie wegen der Befreiung der Iowanokas zur Rede stellte, dann konnte sie sagen, dass die Iowanokas sie gezwungen hätten, ihnen zu helfen. Jeder würde das glauben. Die Weißen hielten die Rothäute für so grausam, tückisch und gemein, dass sie gar nicht annehmen würden, Delia hätte anders als unter Zwang gehandelt.
Man würde ihr helfen. Man würde sie entweder zu Onkel Johannes bringen oder auch, wenn sie darauf bestand, nach New York zurück. Die Überfahrt nach Europa konnte sie sich allemal als Schiffsjunge verdienen.
Plötzlich schien Delia das ganz einfach, die Heimat, die liebe Mutter und die großen Schwestern sehr nahe.
Ja, so werd ich’s machen, dachte sie und schloss, fast glücklich, die Augen.
Jetzt blies sie vergnügte Lieder vor sich hin. Aber dann dachte sie an ihren Vater, für den sie das ganze Abenteuer doch nur begonnen hatte. Sie wusste nicht, wo er war, aber eines stand fest: Sie war ihm schon ein ganz gewaltiges Stück näher gekommen. Bill, der Trapper, hatte ihr gesagt, dass der Vater unter die Goldgräber gegangen war, und das schien Delia nach allem, was sie bisher gehört hatte, sehr wahrscheinlich.
Sollte sie wirklich jetzt, da sie vielleicht kurz vor dem Ziel stand, die Suche aufgeben?
Delia wusste genau, die Mutter würde überglücklich sein, wenn sie sie wieder in die Arme schließen durfte, und doch! Es wäre nicht das richtige, wenn sie mit leeren Händen nach Hause käme. Sie hatte sich selber geschworen, den Vater heimzubringen, und sie wollte und konnte diesen Schwur nicht brechen.
Ein bisschen seufzte sie noch, und ein paar Tränen vergoss sie. Dann steckte sie ihre Mundharmonika fort, faltete die Hände auf der Brust und betete: „Lieber Gott, du hast mich bis hierher geführt, bitte, hilf mir weiter! Ich bin ja nicht wirklich allein, sondern ich weiß, du bist immer bei mir und du beschützt mich vor allem Bösen. Verzeih mir, bitte, wenn ich Unrecht getan habe. Und hilf mir, meinen lieben Vater zu finden. Bitte!“
Und seltsam, von diesem Gebet ging ein viel tieferer Trost aus als von der Gewissheit, dass sie ein Gewehr zur Seite hatte und einen Hund, der sie bewachte. Auf einmal fühlte sie sich geborgen, ihr Mut kam zurück, und wenige Minuten danach schlief sie tief und fest.
Am späten Vormittag des nächsten Tages traf sie auf Spuren einer menschlichen Ansiedlung. Die Landschaft hatte sich geändert. Die Prärie war in ein hügeliges, waldreiches Gebiet übergegangen, das von zahlreichen Bächen und Flüssen und weiten Wiesen durchzogen wurde. Fast sah es ein bisschen so aus wie Delias Heimat, und als sie jetzt, von der Höhe einer Anhöhe aus, die Siedlung vor sich liegen sah, da wurde sie geradezu an das alte Dorf erinnert, in dem Onkel Johannes mit seiner Familie gelebt hatte.
Nein, es gab keine Fachwerkhäuser mit roten Dächern. Es waren einfache, schmucklose Blockhäuser, die sich da vor Delia ausbreiteten. Aber sie waren von sauber angelegten Gärten umgeben, in denen Kohl, Salat und Rüben wuchsen und — oh Wunder! — auch üppige Stockrosen blühten. Hinter dem Dorf zogen sich riesige Felder bis zum Waldrand hin.
Wie gerne hätte Delia das ihrem Freund Akitu gezeigt! So oft hatte sie ihm klarzumachen versucht, dass man durch Landwirtschaft besser leben konnte als allein durch die Jagd, wie es die Iowanokas taten! Aber gleichzeitig wusste sie, dass es wohl doch keinen Zweck gehabt hätte. Akitu hätte wohl nur sein verächtliches Gesicht gemacht, wie damals, als sie ihn einen guten Tischler genannt hatte — er wollte nichts anderes sein als Jäger und Krieger.
Die weißen Siedler aber, das begriff Delia in diesem Augenblick viel deutlicher, als wenn es ihr irgend jemand erzählt hätte, mussten die roten Jäger als eine ständige Bedrohung empfinden! Und sie mussten sie als Faulpelze und Tagediebe verachten, weil in ihren Augen nur der Mann etwas galt, der im Schweiße seines Angesichts arbeitete.
Einige Zeit beobachtete Delia dies friedliche Bild — Frauen und Männer und Kinder, die in den Gärten und auf den Feldern arbeiteten. Dann trieb sie ihr Pferd an, schlug einen weiten Bogen und näherte sich der Siedlung von der anderen Seite her, durch den Wald. Sie band den Mustang auf einer Lichtung fest, nahm den Mops auf den Arm, nicht ohne ihn vorher zum Schweigen ermahnt zu haben. Dann schlich sie sich lautlos, auf
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