Delia und der Sohn des Häuptlings
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Seit Langem hatte sie aufgehört, die Indianer zu fürchten. Seit sie unter ihnen lebte, hatte sie sich an ihren Anblick, ihre Sitten, ihre Redeweise gewöhnt. Sie hatte gelernt, dass Indianer keine gefährlichen Untiere waren, wie die meisten Einwanderer glaubten, sondern ganz einfache Menschen — Menschen mit guten und mit bösen Eigenschaften. Akitu war ihr Blutsbruder geworden, Inona empfand sie wie eine Schwester, und der Häuptling der Iowanokas war zwar kein richtiger Vater für sie, aber er stand ihr doch immerhin auch innerlich so nahe wie ein sehr guter Onkel. Sie hatte Vertrauen zu ihm, sie bewunderte ihn, und sie hätte niemals gewagt, ihm ungehorsam zu sein oder ihn zu enttäuschen.
Aber die Indianer, die sie jetzt von ihrem Aussichtsposten aus sah, waren anders als alle Indianer, die sie je gekannt hatte. Sie sahen einfach schrecklich aus.
Ihre braunen Körper waren nackt bis auf schmale, lederne Lendenschurze. Ihre dunklen Haare waren mit prächtigen bunten Federn besteckt, manche trugen sogar ganze Federhauben, die ihnen bis tief in den Rücken hinunterreichten.
Das Unheimlichste aber war: Ihre Oberkörper, die Arme und die Gesichter waren mit seltsamen weißen, roten und schwarzen Strichen bemalt. Sie wirkten nicht mehr wie Menschen, auch nicht wie Tiere, sondern wie grauenhafte Dämonen.
Delia begriff, dass sich diese Indianer, die sie da unten sah, auf dem Kriegspfad befanden. Sie hatte von Akitu erfahren, dass sie sich für den Kampf so fürchterlich zu bemalen pflegten, um die Feinde allein durch ihren Anblick abzuschrecken und in Furcht zu versetzen. Jeder Stamm hatte besondere Farben und besondere Muster für die Kriegsbemalung. Aber Delia kannte sich nicht gut genug aus, um feststellen zu können, um was für einen Indianerstamm es sich handelte.
Jetzt begannen sich die Männer zu erheben, in regellosen Reihen aufzustehen. Speere schwirrten durch die Luft, grell bemalte Brustschilde wurden rhythmisch hin und her bewegt, die Indianer führten seltsame Verrenkungen aus. Es dauerte einige Zeit, bis Delia begriff, dass sie einen Kriegstanz aufführten, und dann erschrak sie so sehr, dass sie sich blitzschnell herabgleiten ließ.
Soviel hatte sie immerhin über indianische Sitten gelernt, dass sie wusste: Die Zusammenkunft, die sie beobachtet hatte, war ungewöhnlich und hatte etwas Besonderes und Grauenhaftes zu bedeuten. Bestimmt hätte auch der tapfere Akitu sich nicht angeschlichen, wenn er geahnt hätte, um was für eine Versammlung es sich handelte.
Wenn sie ihn nun erwischten! Nicht auszudenken!
Delia hatte allen Grund, zu zittern, denn allein würde sie bestimmt nicht aus dem Urwald herausfinden. Aber sie dachte in diesem Augenblick gar nicht an sich selbst, sondern nur an ihren Freund und Blutsbruder.
Es war ein kleines Wunder, dass sie, obwohl sie alles andere im Kopf hatte, doch heil und ohne einen Zwischenfall bei ihrem Mops auf der breiten Gabelung landete. Schon überlegte sie, wie sie den weiteren Abstieg zusammen mit dem Professor bewerkstelligen sollte, als sie unter sich leise Stimmen hörte. War es Akitu, der sie rief?
Nein, es waren Männerstimmen. Delia unterschied zwei: eine klare und eine heisere, die sich miteinander gedämpft unterhielten, und zwar in der Sprache der Iowanokas. Sie legte ihrem Mops einen Finger vor das Mäulchen und lauschte angestrengt.
Ihre Gedanken arbeiteten fieberhaft. Wie kamen die Iowanokas hierher? Die Antwort lag auf der Hand: Sie waren zu einer Zusammenkunft mit den Irokesen ausgezogen, also musste die kriegerische Versammlung, die sie beobachtet hatte, eine Versammlung der irokesischen Stämme und ihrer Verbündeten gewesen sein.
Der erste Satz, den sie verstehen konnte, bestätigte diese Annahme. „Die Irokesen haben das Kriegsbeil ausgegraben“, sagte der eine der beiden Männer.
„Möge der große Manitu ihrem Vorhaben gnädig sein“, erwiderte der andere.
„Der große Manitu hat die roten Krieger verlassen, weil sie das Feuerwasser lieben“, sagte die erste Stimme.
Dann folgte Schweigen, Delia hörte nichts als ein Knacken. Sie glaubte schon, die beiden Männer hätten sich zurückgezogen.
Aber dann begann der mit der rauen Stimme wieder zu sprechen: „Der große Manitu hat sich von den roten Kriegern zurückgezogen, weil sie feige geworden sind. Die Irokesen werden kämpfen, und Manitu wird ihnen helfen. Sie werden die Bleichgesichter vernichten. Aber unser Häuptling ist alt und müde. Er will in Frieden
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