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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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und die Gläser auf den Couchtisch zu stellen. »Nicht zu viel Eis.«
    Â»Lena …« Meine Tante will etwas sagen, aber ich unterbreche sie.
    Â»Entschuldigung.« Wundersamerweise bringe ich sogar ein Lächeln zu Stande. Ich kann es allerdings nicht länger als den Bruchteil einer Sekunde aufrechterhalten. Mein Kiefer zittert auch und ich weiß, dass ich jeden Moment in Tränen ausbrechen könnte. »Es geht mir nicht so gut. Ich glaube, ich gehe ein bisschen raus.«
    Ich warte nicht auf die Erlaubnis, sondern drehe mich um und eile zur Haustür. Als ich nach draußen in die Sonne stürze, höre ich, wie Carol sich für mich entschuldigt.
    Â»Es dauert noch ein paar Wochen bis zu ihrem Eingriff«, sagt sie. »Sie müssen ihr nachsehen, dass sie so sensibel ist. Ich bin sicher, es wird sich alles klären …«
    Sobald ich draußen bin, kommen die Tränen, heiß und schnell. Die Welt beginnt zu schmelzen, Farben und Formen verlaufen. Der Tag ist vollkommen ruhig. Die Sonne ist gerade am Zenit vorbeigekrochen, eine flache weiße Scheibe, wie ein Kreis aus erhitztem Metall. Ein roter Ballon hat sich in einem Baum verfangen. Er muss schon eine Weile da hängen, denn er ist ganz schlaff, hüpft teilnahmslos, halb ohne Luft, am Ende seiner Schnur.
    Ich weiß nicht, wie ich Brian gegenübertreten soll, wenn ich wieder reingehen muss. Ich weiß nicht, wie ich ihm jemals gegenübertreten soll. Tausend schreckliche Dinge rasen in meinem Verstand herum, Beleidigungen, die ich ihm gerne an den Kopf werfen würde. Wenigstens sehe ich nicht aus wie ein Bandwurm , oder: Schon mal überlegt, ob du gegen das Leben allergisch bist?
    Aber ich weiß, dass ich nichts davon sagen werde – sagen kann. Außerdem ist das Problem eigentlich nicht, dass er keucht oder gegen alles allergisch ist. Das Problem ist noch nicht mal, dass er mich nicht hübsch findet.
    Das Problem ist, dass er nicht Alex ist.
    Hinter mir geht die Tür quietschend auf. Brian sagt: »Lena?«
    Ich reibe schnell mit den Handflächen über meine Wangen und wische die Tränen weg. Das Allerletzte, was Brian erfahren soll, ist, wie sehr sein dämlicher Kommentar mich getroffen hat. »Alles in Ordnung«, rufe ich zurück, ohne mich umzudrehen, weil ich sicher bin, dass ich furchtbar aussehe. »Ich komme gleich wieder rein.«
    Er ist entweder doof oder stur, denn er lässt mich nicht in Ruhe. Stattdessen schließt er die Tür hinter sich und kommt die Treppenstufe herunter. Ich höre ihn einen knappen Meter hinter mir keuchen.
    Â»Deine Mutter hat gesagt, es wäre okay, wenn ich zu dir rauskäme«, sagt er.
    Â»Sie ist nicht meine Mutter«, verbessere ich ihn schnell. Ich weiß nicht, warum mir das so wichtig ist. Früher mochte ich es, wenn Leute Carol für meine Mutter hielten. Es bedeutete, dass sie die wahre Geschichte nicht kannten. Allerdings fand ich früher eine Menge Sachen gut, die mir jetzt albern vorkommen.
    Â»Ach ja.« Brian muss etwas über meine richtige Mutter wissen. Es steht wahrscheinlich in den Unterlagen, die er gelesen hat. »Entschuldige. Das habe ich vergessen.«
    Natürlich , denke ich, aber ich sage nichts. Wenigstens macht mich sein Herumscharwenzeln hier so wütend, dass ich nicht mehr traurig bin. Meine Tränen sind versiegt. Ich verschränke die Arme und warte darauf, dass er den Fingerzeig versteht – oder es leid wird, meinen Rücken anzustarren – und wieder reingeht. Aber das gleichmäßige Keuchen hält an.
    Ich kenne ihn keine halbe Stunde und könnte ihn schon umbringen. Irgendwann habe ich es satt, schweigend dazustehen, deshalb drehe ich mich um und gehe schnell an ihm vorbei.
    Â»Mir geht’s schon viel besser«, sage ich. Ich sehe ihn nicht an, als ich auf das Haus zugehe. »Wir sollten wieder reingehen.«
    Â»Warte, Lena.« Er streckt den Arm aus und fasst mich am Handgelenk. Wahrscheinlich ist fasst nicht ganz das richtige Wort. Eher hinterlässt Schweiß . Aber ich bleibe trotzdem stehen, obwohl ich es nicht über mich bringe, ihn anzusehen. Stattdessen halte ich den Blick auf die Haustür gerichtet und bemerke zum ersten Mal, dass das Fliegengitter drei große Löcher in der rechten oberen Ecke hat. Kein Wunder, dass das Haus diesen Sommer dauernd voller Insekten war. Grace hat neulich einen Marienkäfer in unserem Schlafzimmer gefunden.

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