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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Sie brachte ihn in ihrer kleinen gewölbten Hand zu mir. Ich half ihr, ihn runterzutragen und draußen freizulassen.
    Eine Woge aus Traurigkeit überspült mich, unabhängig von Alex oder Brian oder irgendetwas in dem Zusammenhang. Mich packt nur das Gefühl, dass die Zeit so schnell vergeht, weiterrast. Eines Tages werde ich aufwachen und mein ganzes Leben wird hinter mir liegen und es wird mir vorkommen, als wäre es so schnell vorbeigegangen wie ein Traum.
    Â»Ich hab’s nicht so gemeint«, sagt er. Ich frage mich, ob seine Mutter ihn geschickt hat, um mir das zu sagen. Die Worte scheinen ihn wahnsinnige Mühe zu kosten. »Das war nicht nett.«
    Als ob ich nicht schon total gedemütigt worden wäre – jetzt muss er sich auch noch dafür entschuldigen, dass er mich als hässlich bezeichnet hat. Meine Wangen fühlen sich an, als würden sie wegschmelzen, so heiß sind sie.
    Â»Schon in Ordnung«, sage ich und versuche ihm mein Handgelenk zu entwinden. Erstaunlicherweise lässt er mich nicht los – obwohl er mich streng genommen überhaupt nicht anfassen sollte.
    Â»Was ich eigentlich sagen wollte, war …« Sein Mund geht einen Moment auf und zu. Er sieht mich nicht an. Er mustert weiterhin die Straße hinter mir, wobei seine Augen hin und her huschen wie bei einer Katze, die einen Vogel beobachtet. »Was ich eigentlich sagen wollte, war, dass du auf den Fotos glücklicher ausgesehen hast.«
    Das kommt überraschend und einen Augenblick fällt mir keine Antwort ein. »Ich wirke jetzt nicht glücklich?«, platze ich heraus und bin gleich darauf noch verlegener. Es ist so komisch, dieses Gespräch mit einem Fremden zu führen und zu wissen, dass er nicht mehr viel länger ein Fremder sein wird.
    Aber die Frage scheint ihn nicht aus dem Konzept zu bringen. Er schüttelt nur den Kopf. »Ich weiß, dass du nicht glücklich bist«, sagt er. Er lässt mein Handgelenk los, aber ich will gar nicht mehr unbedingt reingehen. Er starrt immer noch die Straße hinter mir an und ich erhasche einen genaueren Blick auf sein Gesicht. Vermutlich könnte er sogar ganz gut aussehen. Natürlich nicht so großartig wie Alex – er ist total blass und sieht leicht feminin aus, mit einem vollen, runden Mund und einer kleinen spitzen Nase –, aber seine Augen sind von einem hellen Blassblau wie der Morgenhimmel und er hat eine nette ausgeprägte Kieferlinie. Und jetzt bekomme ich Schuldgefühle. Er muss wissen, dass ich unglücklich bin, weil ich ihm zugeteilt wurde. Es ist nicht sein Fehler, dass ich mich verändert habe – das Licht erblickt oder mich mit der Deliria angesteckt, je nachdem, wie man es sieht. Vielleicht beides.
    Â»Tut mir leid«, sage ich. »Es liegt nicht an dir. Ich habe nur … ich habe nur Angst vor dem Eingriff, das ist alles.« Ich muss daran denken, in wie vielen Nächten ich mir vorgestellt habe, wie ich mich auf dem Operationstisch ausstrecke und darauf warte, dass die Narkose die Welt in Nebel verwandelt, darauf warte, erneuert aufzuwachen. Jetzt werde ich in einer Welt ohne Alex aufwachen; ich werde im Nebel aufwachen, wo alles grau und verschwommen und unkenntlich ist.
    Brian sieht mich schließlich an, mit einem Ausdruck, den ich zunächst nicht deuten kann. Dann wird mir klar: Es ist Mitleid. Ich tue ihm leid. Plötzlich redet er ganz schnell. »Hör mal, wahrscheinlich sollte ich dir das gar nicht erzählen, aber vor meinem Eingriff war ich wie du.« Sein Blick heftet sich wieder auf die Straße. Das Keuchen hat aufgehört. Er spricht deutlich, aber leise, so dass Carol und seine Mutter ihn nicht durch das offene Fenster hören können. »Ich … ich war nicht bereit.« Er leckt sich über die Lippen und senkt seine Stimme zu einem Flüstern. »Es gab da ein Mädchen, das ich manchmal im Park getroffen habe. Sie passte auf ihre Cousins und Cousinen auf, brachte sie zum Spielplatz. Ich war Kapitän der Fechtmannschaft an unserer Schule – und wir haben im Park trainiert.«
    Ja, klar warst du Kapitän der verdammten Fechtmannschaft, denke ich. Aber ich sage es nicht laut; ich merke, dass er versucht nett zu sein.
    Â»Na ja, wir haben uns manchmal unterhalten. Es ist nichts passiert«, schränkt er schnell ein. »Nur ein paar Gespräche dann und wann. Sie hatte ein hübsches Lächeln. Und ich fühlte …« Er

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