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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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zur Brooks Street 37. Ich rechne nicht wirklich damit, dass Alex dort wartet, aber ich hoffe trotzdem darauf. Die Zimmer sind leer, genau wie der Garten. Ich bin offenbar schon halb weggetreten, denn ich gucke sogar hinter den Bäumen und Sträuchern nach, als würde er vielleicht plötzlich auftauchen, so wie vor ein paar Wochen, als Hana, er und ich Verstecken gespielt haben. Allein beim Gedanken daran schmerzt es mich heftig in der Brust. Vor weniger als einem Monat hatten wir noch den ganzen August vor uns – lang, golden und beruhigend wie ein endlos köstlicher Schlaf.
    Tja, jetzt bin ich aufgewacht.
    Ich gehe noch einmal durchs Haus. Unser ganzer Kram liegt im Wohnzimmer verstreut – Decken, ein paar Zeitschriften und Bücher, eine Schachtel Cracker und einige Limodosen, alte Gesellschaftsspiele, darunter eine halb fertige Scrabble-Partie, die wir abgebrochen haben, als Alex anfing sich Wörter wie quozz und yregg auszudenken – und bei diesem Anblick werde ich unglaublich traurig. Ich muss an dieses eine Haus denken, das die Offensive überstanden hat, und an die aufgerissene, zerbombte Straße: ein Ort, wo alle Leute gedankenlos ihren alltäglichen Beschäftigungen nachgegangen sind, bis dann die Katastrophe kam, und anschließend haben alle gesagt: »Wieso haben sie das nicht geahnt?«
    So was von gedankenlos – so nachlässig mit unserer Zeit umzugehen, zu glauben, wir hätten noch so viel.
    Ich gehe zurück auf die Straße, hektisch, verzweifelt und unsicher, was ich tun soll. Alex hat mal erwähnt, dass er in der Forsyth Street wohnt – einer langen Reihe aus grauen Plattenbauten, die der Universität gehören –, deshalb gehe ich in diese Richtung. Aber alle Gebäude sehen gleich aus. Es muss Dutzende davon geben, Hunderte einzelner Wohnungen. Ich will jedes Haus durchsuchen, bis ich ihn gefunden habe, aber das wäre Selbstmord. Nachdem mir ein paar Studenten misstrauische Blicke zugeworfen haben – ich sehe bestimmt furchtbar aus mit meinem roten Gesicht, dem verstörten Blick und kurz vor einem hysterischen Anfall –, biege ich in eine Seitenstraße ab. Um mich zu beruhigen, beginne ich die Gebete der Elemente aufzusagen: »H steht für Wasserstoff, mit Ordnungszahl eins, bei Fusion eine Wonne, wird heiß wie die Sonne, auch heller strahlt keins …«
    Ich beschließe nach Hause zu gehen, bin aber derart zerstreut, dass ich mich im Gewirr der Straßen verirre. Schließlich lande ich in einer schmalen Einbahnstraße, die ich noch nie gesehen habe, und muss wieder zum Monument Square zurückgehen. Der Gouverneur steht da wie immer, die leere Handfläche ausgestreckt. Im schwächer werdenden Abendlicht sieht er traurig und verlassen aus, als wäre er ein Bettler, auf ewig dazu verdammt, um Almosen zu bitten.
    Aber er bringt mich auf eine Idee. Ich krame in meiner Tasche nach einem Stück Papier und einem Stift und kritzele: Ich kann Dir alles erklären. Um Mitternacht im Haus. 17. 8. Nachdem ich mich vergewissert habe, dass mich niemand von den paar noch beleuchteten Fenstern beobachtet, die den Platz überblicken, springe ich auf den Sockel der Statue und stecke die Nachricht in den kleinen Hohlraum in der Faust des Gouverneurs. Die Wahrscheinlichkeit, dass Alex auf die Idee kommt, hier nachzusehen, steht eins zu einer Million. Aber immerhin besteht die Möglichkeit.
    Als ich mich in dieser Nacht aus dem Schlafzimmer stehle, höre ich ein Rascheln hinter mir. Ich drehe mich um und sehe, dass Gracie wieder aufrecht im Bett sitzt und mich anblinzelt. Ihre Augen reflektieren das Licht wie die eines Tieres. Ich lege den Finger auf die Lippen. Sie tut dasselbe, ahmt mich unbewusst nach, und ich schleiche zur Tür hinaus.
    Als ich auf der Straße bin, blicke ich noch mal zum Fenster hoch. Einen Augenblick habe ich den Eindruck, dass Gracie zu mir runterschaut, ihr Gesicht so blass wie der Mond. Aber vielleicht spielen mir auch nur die Schatten, die lautlos über die Hauswand gleiten, einen Streich. Als ich noch mal hinsehe, ist sie weg.
    Das Haus in der Brooks Street 37 ist ganz dunkel, als ich durchs Fenster klettere, und es ist vollkommen still. Er ist nicht da , denke ich. Er ist nicht gekommen – aber ein Teil von mir weigert sich es zu glauben. Er muss einfach hier sein.
    Ich habe eine Taschenlampe dabei und durchsuche das Haus, zum zweiten Mal heute. Nach ihm rufen will ich

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