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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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an die Haustür klopfen. »Benimm dich.«
    Warum?, würde ich am liebsten erwidern. Schließlich kann er nichts dagegen tun, selbst wenn er mich hasst. Er hat mich auf dem Hals, genau wie ich ihn auf dem Hals habe. Wir hocken beide fest.
    Darum geht es vermutlich beim Erwachsenwerden.
    In meiner Fantasie war Brian Scharff groß und dick, plump. In Wirklichkeit ist er keine zehn Zentimeter größer als ich – was für einen Jungen beeindruckend klein ist – und so dünn, dass ich fürchte, ihm das Handgelenk zu brechen, als wir uns die Hand geben. Seine Hände sind schweißnass und er drückt kaum zu. Es fühlt sich an, wie ein nasses Taschentuch festzuhalten. Als wir uns anschließend setzen, wische ich mir verstohlen die Handfläche an der Hose ab.
    Â»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagt Carol und dann herrscht lange betretenes Schweigen. In der Stille kann ich Brian durch die Nase keuchen hören. Es klingt, als säße ein sterbendes Tier in seiner Nasenhöhle.
    Offenbar starre ich ihn an, denn Mrs Scharff erklärt: »Brian hat Asthma.«
    Â»Oh«, sage ich.
    Â»Die Allergien machen es noch schlimmer.«
    Â»Ã„h … wogegen ist er denn allergisch?«, frage ich, weil sie es zu erwarten scheint.
    Â»Staub«, sagt sie mit Nachdruck, als hätte sie darauf gewartet, dieses Wort hervorzustoßen, seit sie zur Tür hereingekommen ist. Sie blickt sich mit vernichtendem Blick im Zimmer um – das nicht staubig ist – und Carol wird rot. »Und Pollen. Katzen und Hunde natürlich und Erdnüsse, Meeresfrüchte, Weizen, Milchprodukte und Knoblauch.«
    Â»Ich wusste gar nicht, dass man gegen Knoblauch allergisch sein kann«, sage ich. Ich kann nichts dagegen tun: Es rutscht mir einfach so raus.
    Â»Sein Gesicht schwillt an wie ein Blasebalg.« Mrs Scharff wirft mir einen geringschätzigen Blick zu, als wäre ich irgendwie verantwortlich für diese Tatsache.
    Â»Oh«, sage ich wieder und dann senkt sich erneut unangenehmes Schweigen über uns. Brian sagt nichts, aber er keucht lauter denn je.
    Diesmal kommt Carol mir zu Hilfe. »Lena«, sagt sie, »vielleicht möchten Brian und Mrs Scharff ein wenig Wasser.«
    Ich war noch nie in meinem Leben so dankbar für einen Grund, das Zimmer zu verlassen. Ich springe von meinem Sitz auf, wobei ich beinahe eine Lampe mit meinem Knie umstoße. »Natürlich. Ich hole welches.«
    Â»Sorg dafür, dass es gefiltert ist«, ruft Mrs Scharff hinter mir her, als ich hinausstürze. »Und nicht zu viel Eis.«
    Ich lasse mir Zeit, die Gläser zu füllen – natürlich aus dem Wasserhahn –, und fächle mir die kalte Luft aus dem Gefrierfach ins Gesicht. Ich höre das leise Gemurmel eines Gesprächs aus dem Wohnzimmer, aber ich kann nicht erkennen, wer spricht oder was gesagt wird. Vielleicht hat Mrs Scharff beschlossen, die Liste mit Brians Allergien fortzuführen.
    Ich weiß, dass ich irgendwann zurück ins Wohnzimmer gehen muss, aber meine Füße wollen mich einfach nicht in den Flur tragen. Als ich sie schließlich dazu zwinge, sich in Bewegung zu setzen, sind sie schwer wie Blei; trotzdem bringen sie mich viel zu schnell zum Wohnzimmer. Ich sehe dauernd eine endlose Reihe aus öden Tagen vor mir, blassgelbe oder in der Farbe weißer Pillen, Tage, die denselben bitteren Nachgeschmack haben wie Medizin. Morgen und Abende, die mit einem leise summenden Luftbefeuchter angefüllt sind, mit Brians gleichmäßig keuchendem Atem, mit dem plitsch, plitsch, plitsch eines tropfenden Wasserhahns.
    Es lässt sich nicht aufhalten. Der Flur ist nicht unendlich lang und ich betrete gerade rechtzeitig das Wohnzimmer, um Brian sagen zu hören: »Sie ist nicht so hübsch wie auf den Fotos.«
    Brian und seine Mutter haben mir den Rücken zugekehrt, aber Carol klappt den Mund auf, als sie mich dort stehen sieht, und beide Scharffs drehen sich zu mir um. Wenigstens besitzen sie den Anstand, verlegen zu sein. Er senkt schnell den Blick und sie wird rot.
    Ich habe mich noch nie so bloßgestellt gefühlt. Es ist sogar noch schlimmer, als bei der Evaluierung in dem durchsichtigen Krankenhauskittel unter dem grellen Neonlicht zu stehen. Meine Hände zittern so stark, dass das Wasser über den Rand der Gläser schwappt.
    Â»Hier ist Ihr Wasser.« Ich weiß nicht, woher ich die Kraft nehme, um das Sofa herumzugehen

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