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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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nachzusehen, ob die Gutachter ihn entdeckt haben, aber sie sind immer noch mit ihrem kleinen Tänzchen auf dem Tisch beschäftigt, und als ich wieder nach oben schaue, ist er verschwunden.

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    Tritt nicht auf einen Spalt, sonst wird Mama nicht alt.
    Tritt nicht auf einen Stein, sonst bleibst du ganz allein.
    Tritt nicht auf eine Bank, sonst wirst du liebeskrank.
    Beachte das Verbot, sonst sind bald alle tot.
    Bekanntes Kinderlied, zum Seilspringen
oder als Klatschspiel
    I n dieser Nacht habe ich wieder den Traum.
    Ich stehe an der Kante einer großen weißen Klippe aus Sandstein. Der Vorsprung, auf dem ich stehe, beginnt zu bröckeln, abzubrechen und tief, tief, tief hinabzustürzen – Hunderte von Metern, ins Meer, das so kräftig peitscht und tost, dass es aussieht wie in einem riesigen schäumenden Topf, überall Schaumkronen und wogende Wellen. Ich habe Angst hinunterzufallen, aber aus irgendeinem Grund kann ich mich nicht rühren oder von der Klippe zurücktreten, nicht einmal, als ich merke, wie der Boden unter mir wegrieselt, Millionen Moleküle, die sich im Raum, im Wind neu zusammenfinden. Jeden Moment werde ich fallen.
    Und kurz bevor ich weiß, dass unter mir nichts mehr ist als Luft – dass ich jeden Augenblick den Wind um mich heulen hören werde, während ich ins Wasser stürze –, teilen sich die donnernden Wellen unter mir und ich sehe das blasse, aufgedunsene, blau gefleckte Gesicht meiner Mutter direkt unter der Wasseroberfläche treiben. Ihre Augen sind geöffnet, ihr Mund aufgesperrt, als würde sie schreien, ihre Arme schaukeln auf beiden Seiten ausgestreckt in der Strömung, als wartete sie nur darauf, mich zu umschlingen.
    Dann wache ich auf. Dann wache ich immer auf.
    Mein Kissen ist feucht und meine Kehle ganz rau. Ich habe im Schlaf geweint. Gracie liegt neben mir zusammengerollt, eine Wange flach aufs Laken gepresst, und ihr Mund formt endlose, lautlose Wiederholungen. Sie kommt immer zu mir ins Bett, wenn ich diesen Traum habe. Sie spürt es irgendwie.
    Ich streiche ihr die Haare aus dem Gesicht und ziehe die verschwitzte Decke von ihren Schultern. Es wird mir schwerfallen, Grace zurückzulassen, wenn ich ausziehe. Unsere Geheimnisse haben uns zusammengeschweißt, durch sie sind wir uns ganz nah. Sie ist die Einzige, die von der »Kälte« weiß, einem Gefühl, das mich manchmal überkommt, wenn ich im Bett liege. Ein schwarzes, leeres Gefühl, das mir den Atem raubt und mich nach Luft schnappen lässt, als hätte man mich in eiskaltes Wasser geworfen. In solchen Nächten denke ich – obwohl es falsch ist und verboten – an diese seltsamen und schrecklichen Worte, Ich liebe dich, und überlege, wie sie sich wohl in meinem Mund anfühlen würden, versuche mir ihren beschwingten Rhythmus auf der Zunge meiner Mutter ins Gedächtnis zu rufen.
    Und natürlich bewahre ich ihr Geheimnis. Ich bin die Einzige, die weiß, dass Grace nicht blöd oder zurückgeblieben ist: Ihr fehlt überhaupt nichts. Ich bin die Einzige, die sie jemals sprechen gehört hat. Als sie eines Nachts zu mir ins Bett gekommen war, wachte ich früh am Morgen auf, als die Schatten der Nacht sich gerade von den Wänden zurückzogen. Sie schluchzte neben mir leise in ihr Kissen und wiederholte immer wieder dasselbe Wort, wobei sie sich die Decke in den Mund gestopft hatte, so dass ich sie kaum verstehen konnte: »Mommy, Mommy, Mommy.« Als versuchte sie, sich da durchzubeißen; als erstickte es sie im Schlaf. Ich nahm sie in den Arm und drückte sie an mich, und nach einer Weile, die sich anfühlte wie Stunden, hatte das Wort sie erschöpft und sie schlief wieder ein. Ihr Körper entspannte sich langsam, ihr Gesicht war vom Weinen heiß und geschwollen.
    Das ist der wahre Grund, weshalb sie nicht spricht. Alle anderen Wörter werden von diesem einen ausgesperrt, es schwebt über allem, ein Wort, das immer noch in den dunklen Ecken ihrer Erinnerung widerhallt. Mommy .
    Ich weiß das. Ich kann mich auch daran erinnern.
    Ich setze mich auf und sehe, wie das Licht an den Wänden heller wird, höre das Kreischen der Möwen draußen, trinke Wasser aus dem Glas neben meinem Bett. Heute ist der zweite Juni. Noch vierundneunzig Tage.
    Grace zuliebe wünschte ich, man könnte das Heilmittel früher einsetzen. Der Gedanke, dass auch sie eines Tages operiert wird, tröstet mich. Eines

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