Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
Vom Netzwerk:
Tages wird sie immun sein und die Vergangenheit mit all ihrem Schmerz wird sich in etwas so Schmackhaftes verwandeln wie der Brei, mit dem wir unsere Babys füttern.
    Eines Tages werden wir alle immun sein.
    Als ich mich zum Frühstück nach unten schleppe – ich fühle mich, als hätte mir jemand Sand in beide Augen gestreut –, gibt es bereits eine offizielle Version des Vorfalls in den Labors. Unser kleiner Fernseher läuft leise, während Carol das Frühstück macht, und von den monotonen Stimmen der Nachrichtensprecher schlafe ich beinahe wieder ein. »Gestern wurde ein mit Schlachtvieh beladener Lkw mit einer Lieferung Medikamente verwechselt, was zu beispiellosem Chaos führte, wie Sie in unserem Beitrag sehen können.« Und dann zeigen sie noch Bilder von kreischenden Krankenschwestern, die mit Klemmbrettern auf muhende Kühe einschlagen.
    Das ergibt zwar keinen Sinn, aber solange niemand die Invaliden erwähnt, sind alle zufrieden. Offiziell wissen wir gar nichts von ihrer Existenz. Offiziell existieren sie noch nicht mal. Offiziell wurden alle Leute, die in der Wildnis leben, vor über fünfzig Jahren während der Offensive vernichtet.
    Vor fünfzig Jahren wurden die Grenzen der Vereinigten Staaten geschlossen. Sie werden ununterbrochen von Militär bewacht. Keiner kann rein. Keiner kommt raus. Jede genehmigte und offiziell anerkannte Gemeinde muss ebenfalls von einer Grenze umgeben sein – das ist Vorschrift – und jede Reise zwischen zwei Gemeinden muss von der örtlichen Verwaltung schriftlich genehmigt werden. Den Antrag muss man sechs Monate im Voraus stellen. Das alles dient unserem eigenen Schutz. Sicherheit, Unversehrtheit, Gemeinschaft – so lautet der Wahlspruch unseres Landes.
    Im Großen und Ganzen war die Regierung erfolgreich. Seit die Grenze geschlossen wurde, hat kein Krieg mehr stattgefunden und es gibt kaum noch Kriminalität, abgesehen von einzelnen Fällen von Sachbeschädigung oder Bagatelldiebstählen. Es gibt keinen Hass mehr in den Vereinigten Staaten – zumindest nicht unter den Geheilten. Nur vereinzelt Fälle von Ablehnung –, aber jeder medizinische Eingriff birgt ein gewisses Risiko.
    Allerdings ist es der Regierung bisher nicht gelungen, das Land von den Invaliden zu befreien, und das ist der einzige Schönheitsfehler des Systems. Deshalb sprechen wir nicht über die Invaliden. Wir tun so, als gäbe es die Wildnis – und die Leute, die dort leben – gar nicht. Das Wort wird selten ausgesprochen, außer wenn ein Sympathisant verschwindet oder sich herausstellt, dass zwei junge Leute zusammen weggelaufen sind, bevor sie geheilt werden konnten.
    Und jetzt kommt die richtig gute Nachricht: Sämtliche Evaluierungen von gestern sind für ungültig erklärt worden. Wir bekommen alle einen neuen Termin, was bedeutet, dass ich eine zweite Chance habe. Ich schwöre, dass ich es diesmal nicht vermasseln werde. Mein Zusammenbruch in den Labors kommt mir mittlerweile völlig idiotisch vor. Hier am Frühstückstisch, wo alles so ordentlich und hell und normal aussieht – die angeschlagenen blauen Becher mit Kaffee, das gelegentliche Piepen der Mikrowelle (abgesehen von den Lampen eins der wenigen Elektrogeräte, die uns Carol benutzen lässt) –, erscheint der gestrige Tag wie ein langer, seltsamer Traum. Es ist wirklich ein Wunder, dass eine Gruppe fanatischer Invaliden, genau als ich gerade dabei war, durch die wichtigste Prüfung meines Lebens zu rasseln, beschlossen hat, eine Herde Kühe loszulassen. Ich weiß wirklich nicht, was da über mich gekommen ist. Ich muss daran denken, wie Brillengesicht die Zähne gezeigt hat, und an den Moment, als ich meinen Mund »Grau« sagen hörte, und zucke gleich wieder zusammen. Wie blöd kann man denn sein?
    Plötzlich wird mir bewusst, dass Jenny etwas zu mir gesagt hat.
    Â»Was?« Ich blinzele und sehe Jenny langsam scharf. Ich beobachte ihre Hände, die sorgfältig den Toast in Stücke schneiden.
    Â»Ich habe gefragt, was mit dir los ist.« Hin und her, hin und her. Das Messer stößt klirrend gegen den Teller. »Du siehst aus, als müsstest du gleich kotzen oder so.«
    Â»Jenny«, mahnt Carol. Sie steht an der Spüle und macht den Abwasch. »Dein Onkel frühstückt noch.«
    Â»Mir geht’s gut.« Ich breche ein Stück Toast ab, streiche damit über die

Weitere Kostenlose Bücher