Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
Vom Netzwerk:
halb im Scherz, aber nur halb. Schließlich will Hana trotz all ihres Geredes, ihrer Untergrundpartys und der verbotenen Musik dieses Leben, diesen Ort nicht aufgeben, das einzige Zuhause, das wir kennen. Allerdings hat sie hier auch ein Leben: eine Familie, eine Zukunft, einen guten Partner. Ich habe nichts.
    Hanas Mundwinkel zittern und sie lässt den Kopf sinken, kickt in den Sand. Ich möchte sie trösten, aber mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte. In meiner Brust schmerzt es heftig. Während wir so dastehen, kommt es mir vor, als würde ich dabei zusehen, wie mein ganzes Leben mit Hana, unsere gesamte Freundschaft, auseinanderbricht: gemeinsame Übernachtungen mit verbotenen mitternächtlichen Schüsseln voll Popcorn; all die Male, die wir für den Tag der Evaluierung geprobt haben, wobei Hana, eine der alten Brillen ihres Vaters auf der Nase, immer wenn ich eine falsche Antwort gab, mit einem Lineal auf den Tisch haute und wir jedes Mal wie verrückt lachen mussten; wie sie Jillian Dawson mit voller Wucht eins reinhaute, weil Jillian gesagt hatte, mein Blut sei krank; wie wir am Pier Eis aßen und davon träumten, dass wir mit unseren Partnern in identischen Häusern nebeneinanderwohnen würden. All das wird ins Nichts gesaugt wie Sand, der von der Strömung hinweggespült wird.
    Â»Es hat nichts mit dir zu tun«, sage ich. Ich muss die Worte an einem Kloß in meinem Hals vorbeizwängen. »Grace und du seid die einzigen Menschen, die mir hier etwas bedeuten. Sonst nichts …« Ich breche ab. »Alles sonst ist nichts.«
    Â»Ich weiß«, murmelt sie, sieht mich aber immer noch nicht an.
    Â»Sie … sie haben meine Mutter abgeholt, Hana.« Das wollte ich ihr eigentlich gar nicht sagen. Ich wollte nicht darüber reden. Aber die Worte sprudeln hervor.
    Sie wirft mir einen scharfen Blick zu. »Wovon redest du?«
    Da erzähle ich ihr von den Grüften. Erstaunlicherweise verliere ich nicht die Nerven. Ich erzähle es ihr einfach in allen Einzelheiten. Block sechs und die Flucht, die Zelle, die Wörter. Hana hört völlig erstarrt zu. Ich habe sie noch nie so still und ernst erlebt.
    Als ich geendet habe, ist Hanas Gesicht weiß. Sie sieht genauso aus wie damals, als wir klein waren, nachts wach blieben und uns gegenseitig mit Gruselgeschichten Angst einjagten. In gewisser Weise ist die Geschichte meiner Mutter vermutlich eine Gruselgeschichte. »Es tut mir leid, Lena«, sagt sie, ihre Stimme kaum ein Flüstern. »Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Es tut mir so leid.«
    Ich nicke und starre aufs Meer hinaus. Ich frage mich, ob das, was wir über die anderen Teile der Erde gelernt haben – die ungeheilten Teile –, stimmt, ob sie wirklich so wild, wüst, brutal und voller Schmerz sind, wie es immer heißt. Mit ziemlicher Sicherheit ist auch das eine Lüge. Es ist auf vielerlei Art einfacher, sich einen Ort wie Portland vorzustellen – einen Ort mit seinen Mauern, Grenzen und Halbwahrheiten, einen Ort, wo Liebe nur vorübergehend aufflammt.
    Â»Verstehst du jetzt, warum ich wegmuss?«, sage ich. Es ist eigentlich keine Frage, aber sie nickt.
    Â»Ja.« Hana schüttelt ein wenig die Schultern, als versuchte sie einen Traum abzuschütteln. Dann dreht sie sich zu mir um. Obwohl ihre Augen traurig sind, bringt sie ein Lächeln zu Stande. »Du, Lena Haloway«, sagt sie, »bist eine Legende.«
    Â»Ja, klar.« Ich verdrehe die Augen. Aber es geht mir besser. Sie hat mich beim Namen meiner Mutter genannt, daher weiß ich, dass sie mich versteht. »Ein Lehrstück vielleicht.«
    Â»Ich mein’s ernst.« Sie streicht sich die Haare aus dem Gesicht und sieht mich aufmerksam an. »Ich habe mich geirrt, weißt du. Erinnerst du dich noch an das, was ich zu Anfang des Sommers gesagt habe? Ich dachte, du hättest Schiss. Ich dachte, du wärst zu ängstlich, um etwas zu riskieren.« Das traurige Lächeln spielt erneut um ihre Lippen. »Und jetzt stellt sich raus, dass du mutiger bist als ich.«
    Â»Hana …«
    Â»Schon okay.« Sie unterbricht mich mit einer Handbewegung. »Du hast es verdient. Du hast mehr verdient.«
    Ich weiß nicht genau, was ich darauf erwidern soll. Ich würde sie am liebsten in den Arm nehmen, aber stattdessen schlinge ich die Arme fest um meine Taille. Der Wind vom Wasser her ist schneidend.
    Â»Ich werde dich

Weitere Kostenlose Bücher