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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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bald.« Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und küsse ihn sanft. Wie immer scheint der Druck seiner Lippen auf meinen alles Böse in der Welt auszulöschen. Ich muss mich geradezu von ihm losreißen und gebe ihm einen spielerischen Klaps auf den Arm. »Danke übrigens für den Schlüssel.«
    Â»Den Schlüssel?« Alex kneift verwirrt die Augen zusammen.
    Â»Für das Schloss.« Ich will ihn erneut an mich drücken, aber er tritt einen Schritt zurück und schüttelt den Kopf, sein Gesicht ist plötzlich grellweiß und entsetzt – und in diesem Augenblick kapiere ich es, wir kapieren es beide, und Alex öffnet den Mund, aber wie in Zeitlupe, und genau in dem Moment, als ich begreife, warum ich ihn plötzlich so deutlich erkennen kann, in Licht getaucht, erstarrt wie ein Hirsch, der von den Scheinwerfern eines Lastwagens erfasst wird ( die Aufseher benutzen heute Nacht starke Handstrahler ) , dröhnt eine Stimme durch die Nacht: »Halt! Alle beide! Hände über den Kopf!« Gleichzeitig erreicht mich Alex’ Stimme, drängend – »Lauf, Lena, lauf!« Er geht bereits rückwärts durch die Dunkelheit, aber meine Füße brauchen länger, um sich in Bewegung zu setzen, und als sie mir endlich gehorchen und ich blindlings und ziellos in die erstbeste Straße einbiege, ist die Nacht von beweglichen Schatten erfüllt, die nach mir greifen, die schreien, an meinen Haaren ziehen – Hunderte, wie es scheint, die den Hügel herunterströmen, aus der Erde, den Bäumen, der Luft auftauchen.
    Â»Haltet sie! Haltet sie!«
    Mein Herz birst in meiner Brust und ich bekomme keine Luft. Ich hatte noch nie solche Panik. Ich sterbe vor Angst. Mehr und mehr Schatten verwandeln sich in Menschen. Alle greifen, schreien, glitzernde Metallwaffen, Gewehre und Schläger, Dosen mit Tränengas in der Hand. Ich ducke und winde mich unter rauen Händen hindurch und rase auf den Hügel zu, der zur Brandon Road führt, aber vergebens. Ein Aufseher packt mich grob von hinten. Ich kann ihn mit Mühe abschütteln, bevor ich von jemandem in der Uniform eines Wachmanns abpralle und ein weiteres Paar Hände an mir spüre. Die Angst ist ein Schatten, eine Decke – sie erstickt mich, macht mir das Atmen unmöglich.
    Ein Streifenwagen springt neben mir an und seine kreisenden Lichter erleuchten alles grell, aber nur für einen Moment, und die Welt um mich herum blinkt schwarz, weiß, schwarz, weiß, bewegt sich stoßweise weiter, in Zeitlupe.
    Ein Gesicht, das zu einem schrecklichen Schrei verzerrt ist; ein Hund, der mit gefletschten Zähnen von links angesprungen kommt; jemand ruft: »Ergreift sie! Ergreift sie!«
    Keine Luft, keine Luft, keine Luft.
    Ein hohes Pfeifen, ein Schrei; ein Knüppel, der vorübergehend in der Luft erstarrt.
    Ein herabsausender Schlagstock; ein hechtender, knurrender Hund; sengender Schmerz, direkt durch mich hindurch, wie Hitze.
    Dann Schwärze.
    Als ich die Augen öffne, ist die Welt in tausend Teile zersprungen. Alles, was ich sehe, sind winzige Splitter aus Licht, die verschwommen herumschwirren wie in einem Kaleidoskop. Ich blinzele mehrmals, und langsam verbinden sich die Splitter, setzen sich zu einer glockenförmigen Lampe und einer cremefarbenen Decke zusammen, auf der ein großer Wasserfleck in Form einer Eule prangt. Mein Zimmer. Zu Hause. Ich bin zu Hause.
    Einen Augenblick bin ich erleichtert: Mein Körper kribbelt, als wäre ich überall auf der Haut mit Nadeln gestochen worden, und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als mich in mein weiches Kissen zurückzulehnen und in der Dunkelheit und der Besinnungslosigkeit des Schlafs zu versinken, bis sich der heftige Schmerz in meinem Kopf auflöst. Dann fällt es mir wieder ein. Das Vorhängeschloss, der Angriff, die schwärmenden Schatten. Und Alex.
    Ich weiß nicht, was mit Alex passiert ist.
    Mit rudernden Armen versuche ich mich aufzusetzen, aber quälender Schmerz schießt von meinem Kopf in meinen Nacken und keuchend lege ich mich wieder hin. Ich schließe die Augen und höre, wie die Tür zu meinem Zimmer kratzend aufgeht: Plötzlich werden unten Stimmen laut. Meine Tante unterhält sich in der Küche mit jemandem, einem Mann, dessen Stimme ich nicht erkenne. Wahrscheinlich ein Aufseher.
    Schritte durchqueren den Raum. Ich halte die Augen fest geschlossen und stelle mich schlafend, als sich

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