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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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ein wenig lächerlich vorkommen wie die Erinnerung an einen Traum, dessen Einzelheiten bereits verblassen.
    Â»Vielleicht nachher«, sage ich, das Einzige, was mir überhaupt einfällt. Man muss weitermachen: Das ist die einzige Möglichkeit. Man muss weitermachen, egal was passiert. Das ist das Gesetz der Welt.
    Â»Nachdem du Staub gefressen hast, meinst du wohl«, sagt sie, während sie sich vorbeugt, um ihre Oberschenkelmuskeln zu dehnen.
    Â»Du hast ’ne ganz schön große Klappe für jemanden, der den ganzen Sommer über faul rumgelegen hat.«
    Â»Das musst du gerade sagen.« Sie hebt den Kopf und zwinkert mir zu. »Ich glaube nicht, dass das, was Alex und du da so getrieben habt, als Sport durchgeht.«
    Â»Pssst.«
    Â»Keine Panik. Hier ist keiner. Ich hab mich umgesehen.«
    Es wirkt alles so normal – so herrlich, wunderbar normal –, dass mich von Kopf bis Fuß Freude erfüllt, die mich schwindeln lässt. Auf den Straßen liegt ein Streifenmuster aus goldenem Sonnenlicht und Schatten und die Luft riecht nach Salz, Gebratenem und ein bisschen nach an die Strände gespültem Seetang. Ich möchte diesen Moment für immer in mir bewahren, ihn hüten wie ein Schattenherz: mein altes Leben, mein Geheimnis.
    Â»Hab dich«, sage ich zu Hana und klopfe ihr auf die Schulter. »Du bist.«
    Und dann bin ich weg und sie schreit auf und rennt los, um mich einzuholen. Wir laufen eine halbe Runde auf der Laufbahn und schlagen dann, ohne über die Strecke zu diskutieren, den Weg Richtung Hafen ein. Meine Beine fühlen sich kräftig und fest an; die Bissverletzung, die ich mir bei der Razzia zugezogen habe, ist gut verheilt, geblieben ist nur eine dünne rote Linie hinten auf meinem Unterschenkel, wie ein Lächeln. Die kühle Luft strömt schmerzhaft in meine Lungen und wieder hinaus, aber es ist ein angenehmer Schmerz: die Art Schmerz, die einen daran erinnert, wie unglaublich es ist zu atmen, überhaupt Schmerzen zu empfinden, in der Lage zu sein, irgendetwas zu spüren. Salz brennt mir in den Augen und ich blinzele schnell, nicht ganz sicher, ob ich schwitze oder weine.
    Es ist nicht der schnellste Lauf, den wir je absolviert haben, aber vielleicht unser bester. Wir laufen fast Schulter an Schulter, im genau gleichen Rhythmus, und schlagen einen Bogen vom alten Hafen bis ganz raus zum Eastern Promenade Park.
    Wir sind auf jeden Fall nicht so fit wie zu Anfang des Sommers. Nach knapp fünf Kilometern werden wir allmählich langsamer und in schweigendem Einverständnis nehmen wir die Abkürzung über den abschüssigen Rasen zum Strand und sinken dort lachend zu Boden.
    Â»Zwei Minuten«, sagt Hana keuchend. »Ich brauche nur zwei Minuten.«
    Â»Schwach«, sage ich, obwohl ich genauso dankbar für die Pause bin.
    Â»Selber«, sagt sie und wirft eine Handvoll Sand in meine Richtung. Wir lassen uns beide mit ausgestreckten Armen und Beinen auf den Rücken fallen, als wollten wir Schneeengel machen. Der Sand ist überraschend kühl auf meiner Haut und ein bisschen feucht. Es muss vorhin doch geregnet haben, vielleicht, während Alex und ich in den Grüften waren. Als ich wieder an diese winzige Zelle denke und an die Wörter, die geradewegs durch die Wand gebohrt wurden, die Sonne, die genau durch das B hereinschien wie durch ein Teleskop, zieht sich das Etwas in meiner Brust wieder zusammen. Sogar jetzt, in diesem Augenblick, ist meine Mutter irgendwo da draußen – bewegt sich, atmet, ist.
    Bald werde ich auch da draußen sein.
    Es sind nur wenige Leute am Strand, vor allem Familien, die spazieren gehen, und ein alter Mann, der langsam am Wasser entlangtrottet und seinen Stock in den Sand sticht. Die Sonne sinkt hinter den Wolken und die Bucht ist grau mit einem ganz leichten Grünstich.
    Â»Unglaublich, nur noch ein paar Wochen und wir müssen uns nicht mehr um die Ausgangssperre kümmern«, sagt Hana und dreht dann den Kopf, um mich anzusehen. »Weniger als drei Wochen bei dir. Sechzehn Tage, stimmt’s?«
    Â»Ja.« Eigentlich will ich Hana nicht anlügen. Ich setze mich auf und schlinge die Arme um die Knie.
    Â»Ich glaube, an meinem ersten Abend nach dem Eingriff werde ich die ganze Nacht draußen bleiben. Einfach bloß weil ich es kann.« Hana stützt sich auf die Ellbogen. »Wollen wir das zusammen machen – du und ich?« Es klingt wie eine

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