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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Angst, Angst – ein blindes Tierleben, in dem man zwischen Mauern hin und her gestoßen wird, durch immer enger werdende Flure schlurft, verängstigt, stumpfsinnig und stupide.
    Zum ersten Mal in meinem Leben tut mir Carol richtig leid. Ich bin erst siebzehn und weiß bereits etwas, das sie nicht weiß: dass das Leben kein Leben ist, wenn man einfach nur hindurchtreibt. Ich weiß, dass es – einzig und allein – darum geht, die Dinge zu finden, die wichtig sind, und daran festzuhalten und für sie zu kämpfen und sie niemals loszulassen.
    Â»Okay.« Carol steht irgendwie verlegen da, wie immer, wenn sie etwas Bedeutsames sagen will, aber nicht genau weiß, wie sie es rüberbringen soll. »Noch zwei Wochen bis zu deinem Eingriff«, sagt sie schließlich.
    Â»Sechzehn Tage«, erwidere ich, aber in Gedanken zähle ich: Sieben Tage. Noch sieben Tage, dann bin ich frei und weg von diesen Leuten und ihrem vorbeigleitenden, oberflächlichen Leben, diesen Leuten, die aneinander vorbeistreifen, treiben, treiben, treiben, vom Leben bis zum Tod. Für sie gibt es kaum einen Unterschied zwischen beidem.
    Â»Es ist ganz normal, dass du nervös bist«, sagt sie. Das ist das Bedeutsame, das sie mir sagen wollte, die tröstenden Worte, die ihr nicht eingefallen sind. Arme Tante Carol: ein Leben aus Geschirr und grünen Bohnen in verbeulten Dosen. Ein Tag wie der andere. Da fällt mir auf, wie alt sie aussieht. Ihr Gesicht ist von tiefen Falten durchzogen und in ihren Haaren sind graue Strähnen. Nur ihre Augen haben mich davon überzeugt, dass sie alterslos ist: diese starrenden, verschleierten Augen, die alle Geheilten haben, als würden sie immer in große Ferne sehen. Sie muss hübsch gewesen sein, als sie jung war, bevor sie geheilt wurde – mindestens so groß wie meine Mutter und wahrscheinlich genauso schlank –, und in meinem Kopf blitzt ein Bild von zwei jungen Mädchen auf, zwei schmalen schwarzen Klammern, zwischen ihnen ein Streifen silbernen Meeres, die sich gegenseitig mit den Füßen Wasser ins Gesicht spritzten und dabei lachten. Diese Dinge sollte man niemals hinter sich lassen.
    Â»Oh, ich bin nicht nervös«, antworte ich. »Glaub mir, ich kann es kaum erwarten.«
    Nur noch sieben Tage.

vierundz w anzig
    Was ist Schönheit? Schönheit ist nichts weiter als Betrug; eine Täuschung; aufgeregte Teilchen und Elektronen stoßen in deinen Augen zusammen und drängeln sich in deinem Gehirn wie ein Haufen überdrehter Schulkinder kurz vor der Pause. Wirst du dich täuschen lassen? Wirst du dich enttäuschen lassen?
    Â»Ãœber Schönheit und Falschheit«, Die Neue Philosophie von Ellen Dorpshire
    A ls ich ankomme, lehnt Hana schon am Maschendrahtzaun, der den Sportplatz umschließt, den Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen, um sie vor der Sonne zu schützen. Ihre Haare sind offen und fallen ihr auf den Rücken, fast weiß im Sonnenlicht. Fünf Meter vor ihr bleibe ich stehen und wünschte, ich könnte sie mir genau so einprägen, genau dieses Bild für immer in meinem Bewusstsein festhalten.
    Sie schlägt die Augen auf und entdeckt mich. »Wir haben noch nicht mal angefangen zu laufen«, sagt sie, als sie sich vom Zaun löst und demonstrativ auf ihre Uhr schaut, »und du kommst bereits als Zweite ins Ziel.«
    Â»Ist das eine Herausforderung?«, frage ich, während ich die letzten Meter auf sie zugehe.
    Â»Nur eine Tatsache«, erwidert sie grinsend. Ihr Lächeln zuckt ein bisschen, als ich näher komme. »Du siehst anders aus.«
    Â»Ich bin müde«, sage ich. Es kommt mir komisch vor, sie ohne Umarmung oder so zu begrüßen, obwohl das immer so war zwischen uns, immer so sein musste . Es kommt mir komisch vor, dass ich ihr nie gesagt habe, wie viel sie mir bedeutet. »War ’n langer Tag.«
    Â»Willst du drüber reden?« Sie sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. Sie ist über den Sommer braun geworden. Die Sommersprossen auf ihrer Nase ballen sich zusammen wie eine Sternenexplosion. Sie ist wahrscheinlich wirklich das schönste Mädchen von Portland, wenn nicht der ganzen Welt, und mir fährt ein stechender Schmerz in die Rippen, als ich daran denke, wie sie älter werden und mich vergessen wird. Irgendwann wird sie kaum noch wissen, wie viel Zeit wir gemeinsam verbracht haben – und es wird ihr weit entfernt und

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