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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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wie er beim Lachen den Kopf zurückgelegt hat, so dass ich seine gewölbte schwarze Mundhöhle sehen konnte. Ich habe niemandem von ihm erzählt, noch nicht mal Hana, und jetzt denke ich, ich hätte es tun sollen.
    Hana fährt fort: »Irgendjemand muss die Sicherheitscodes gekannt haben. Vielleicht ein Sympathisant …«
    Am Eingang zu den Umkleidekabinen knallt laut eine Tür und Hana und ich zucken beide zusammen und sehen uns mit aufgerissenen Augen an. Schritte klappern schnell über das Linoleum. Nach ein paar Sekunden des Zögerns schneidet Hana elegant ein sicheres Thema an: die Farbe der Roben für die Abschlussfeier, die dieses Jahr orange sind. Gerade da kommt Mrs Johanson, die Verantwortliche für den Schulsport, hinter den Reihen aus Schließfächern hervor und lässt ihre Trillerpfeife um einen Finger kreisen.
    Â»Wenigstens sind sie nicht braun wie an der Fielston-Schule«, sage ich, obwohl ich Hana kaum zuhöre. Mein Herz hämmert und ich muss immer noch an den Jungen denken und überlege, ob Mrs Johanson das Wort Sympathisant gehört hat. Aber sie nickt uns einfach nur im Vorbeigehen zu, von daher ist es unwahrscheinlich.
    Ich bin inzwischen richtig gut darin – das eine zu sagen, während ich an etwas ganz anderes denke; so zu tun, als hörte ich zu, obwohl das überhaupt nicht stimmt; mich ruhig und zufrieden zu geben, wenn ich eigentlich völlig außer mir bin. Das ist eine der Fähigkeiten, die man perfektioniert, wenn man älter wird. Man muss lernen, dass immer jemand zuhört. Als ich das erste Mal das Handy benutzt habe, das sich meine Tante und mein Onkel teilen, war ich überrascht von den ungleichmäßigen Störungen, die mein Gespräch mit Hana immer wieder unterbrachen, bis mir meine Tante erklärte, dass das nur die Abhörgeräte der Regierung seien, die sich willkürlich in Handy-Gespräche schalteten, sie aufzeichneten und gezielt nach Begriffen wie Liebe , Invalide oder Sympathisant durchforsteten. Es wird niemand extra ausgewählt. Es funktioniert alles nach dem Zufallsprinzip. Aber so ist es fast noch schlimmer. Ich habe praktisch immer das Gefühl, es schweifte ein kreisender Blick aus einem riesigen Auge über mir und beleuchtete meine bösen Gedanken, als wäre ich ein Tier, das unbewegt und weiß vom ewig rotierenden Strahl eines Leuchtturms erfasst wird.
    Manchmal glaube ich, ich habe zwei Ichs, von denen eins direkt über dem anderen dahingleitet: mein Ich an der Oberfläche, das nickt, wenn es nicken soll, und sagt, was es sagen soll, und ein anderer, tiefer liegender Teil, der Teil, der sich Sorgen macht und träumt und »grau« sagt. Meistens bewegen sie sich synchron und ich bemerke den Spalt zwischen ihnen kaum, aber manchmal fühlt es sich an, als wäre ich zwei völlig verschiedene Menschen und könnte jeden Augenblick auseinanderbrechen. Ich habe Rachel mal davon erzählt. Sie lächelte nur und sagte, das würde nach dem Eingriff alles besser. Nach dem Eingriff, sagte sie, wäre alles ein Dahinrollen, ein Gleiten, jeder Tag kinderleicht.
    Â»Fertig«, sage ich und knalle die Tür zu meinem Schließfach zu. Wir können immer noch hören, wie Mrs Johanson pfeifend auf der Toilette zugange ist. Die Klospülung wird betätigt. Ein Wasserhahn geht an.
    Â»Heute darf ich die Strecke aussuchen«, sagt Hana mit blitzenden Augen, und bevor ich den Mund aufmachen kann, um zu protestieren, springt sie vor und klatscht mir auf die Schulter. »Du bist’s«, sagt sie, springt geschmeidig von der Bank und sprintet lachend auf die Tür zu, so dass ich rennen muss, um sie einzuholen.
    Vorhin hat es ein Gewitter gegeben, das für Abkühlung gesorgt hat. Wasser verdampft aus Pfützen auf der Straße und legt eine glitzernde Decke aus Nebel über Portland. Der Himmel über uns ist jetzt strahlend blau. Die Bucht ist glatt und silbern, die Küste sieht aus wie ein riesiger Gürtel, der darumgeschnallt ist, um sie an ihrem Platz zu halten.
    Ich frage Hana nicht, wo sie hinläuft, aber es überrascht mich nicht, als sie die gewundenen Straßen nach Old Port hochläuft, auf den alten Fußweg zu, der parallel zur Commercial Street zu den Labors führt. Wir versuchen uns an die kleineren, weniger überlaufenen Straßen zu halten, aber es ist beinahe aussichtslos. Es ist halb vier. Überall ist Schulschluss und

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