Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
bildeten, standen sie ratlos bei einander; ihren Scheik hatte ich bereits den beiden Dienern Lindsays zugeschoben, und nun konnte es nur mein Wunsch sein, den Auftritt ohne Blutvergießen zu endigen.
»Gebt euch keine Mühe, ihr Krieger der Obeïde; ihr seid in unseren Händen. Ihr seid zwanzig Mann, wir aber zählen über hundert Reiter, und euer Scheik befindet sich in meiner Hand!«
»Schießt ihn nieder!« gebot ihnen der Scheik.
»Wenn einer von euch seine Waffe gegen mich erhebt, so werden diese beiden Männer euren Scheik töten!« antwortete ich.
»Schießt ihn nieder, den Dib, den Ibn Avah, den Erneb!« rief er trotz meiner Drohung.
Wolf.
Schakal.
Hase.
»Laßt euch dies nicht einfallen; denn auch ihr wäret verloren!«
»Eure Brüder werden euch und mich rächen!« rief der Scheik.
»Eure Brüder? Die Obeïde? Vielleicht auch die Abu Hammed und die Dschowari!«
Er blickte mich überrascht an.
»Was weißt du von ihnen?« stieß er hervor.
»Daß sie in diesem Augenblick von den Kriegern der Haddedihn ebenso überrumpelt werden, wie ich dich und diese Männer gefangen habe.«
»Du lügst! Du bist ein Tier, welches niemand schaden kann. Meine Krieger werden dich mit allen Söhnen und Töchtern der Haddedihn fangen und fortführen!«
»Allah behüte deinen Kopf, daß du die Gedanken nicht verlierst! Würden wir hier auf dich warten, wenn wir nicht gewußt hätten, was du gegen Scheik Mohammed unternehmen willst?«
»Woher weißt du, daß ich am Grabe des Hadschi Ali war?«
Ich beschloß, auf den Busch zu klopfen – und erwiderte also:
»Du warst am Grabe des Hadschi Ali, um Glück für dein Unternehmen zu erbeten; aber dieses Grab liegt auf dem linken Ufer des Tigris, und du bist dann an dieses Ufer gegangen, um im Wadi Murr zu erspähen, wo die andern Stämme der Schammar sich befinden.«
Ich sah ihm an, daß ich mit meiner Kombination das Richtige getroffen hatte. Er stieß trotzdem ein höhnisches Gelächter aus und antwortete:
»Dein Verstand ist faul und träge wie der Schlamm, der im Flusse liegt. Gieb uns frei, so soll dir nichts geschehen!«
Jetzt lachte ich und fragte:
»Was wird uns geschehen, wenn ich es nicht thue?«
»Die Meinen werden mich suchen und finden. Dann seid ihr verloren!«
»Deine Augen sind blind und deine Ohren taub. Du hast weder gehört noch gesehen, was vorging, ehe die Deinigen über den Fluß herüber kamen.«
»Was soll geschehen sein?« fragte er in verächtlichem Ton.
»Sie werden erwartet, ganz ebenso, wie ich dich erwartet habe.«
»Wo?«
»Im Wadi Deradsch.«
Jetzt erschrak er sichtlich; daher setzte ich hinzu:
»Du siehst, daß euer Plan verraten ist. Du weißt, daß ich bei den Abu Hammed war. Ehe ich dorthin kam, war ich bei den Abu Mohammed. Sie und die Alabeïden, die ihr so oft beraubtet, haben sich mit den Haddedihn verbunden, euch in dem Wadi Deradsch einzuschließen. Horch!«
Es war eben jetzt ein dumpfes Knattern zu hören.
»Hörst du diese Schüsse? Sie sind bereits im Thale eingeschlossen und werden alle niedergemacht, wenn sie sich nicht ergeben.«
»Allah il Allah!« rief er. »Ist das wahr?«
»Es ist wahr.«
»So töte mich!«
»Du bist ein Feigling!«
»Ist es feig, wenn ich den Tod verlange?«
»Ja. Du bist der Scheik der Obeïde, der Vater deines Stammes; es ist deine Pflicht, ihm in der Not beizustehen; du aber willst ihn verlassen!«
»Bist du verrückt? Wie kann ich ihm beistehen, wenn ich gefangen bin!«
»Mit deinem Rate. Die Haddedihn sind keine Scheusale, die nach Blut lechzen; sie wollen euern Überfall zurückweisen und dann Frieden mit euch schließen. Bei dieser Beratung darf der Scheik der Obeïde nicht fehlen.«
»Noch einmal: sagst du die Wahrheit?«
»Ich sage sie.«
»Beschwöre es!«
»Das Wort eines Mannes ist sein Schwur. Halt, Bursche!«
Dieser Ruf galt dem Griechen. Er hatte bisher ruhig dagestanden, jetzt aber sprang er plötzlich auf einen meiner Leute, welche nach und nach näher getreten waren, um unsere Worte zu verstehen, stieß ihn zur Seite und eilte davon. Einige Schüsse krachten hinter ihm, aber in der Eile war nicht genau gezielt worden; es gelang ihm, den Vorsprung zu erreichen und hinter demselben zu verschwinden.
»Schießt jeden nieder, der sich hier rührt!«
Mit diesen Worten eilte ich dem Flüchtling nach. Als ich den Vorsprung erreichte, war er bereits über hundert Schritte von demselben entfernt.
»Bleib stehen!« rief ich ihm nach.
Er sah sich rasch um, sprang
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