Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
wissen, o Pascha? Ich kann die Leute doch nur so beschreiben, wie sie sich gegen mich verhalten haben.«
»Und wer liest das?«
»Viele Tausende von hohen und niederen Männern.«
»Auch Paschas und Fürsten?«
»Auch sie.«
In diesem Augenblick ertönte von dem Hofe herauf der Schall von Schlägen, begleitet vom Wimmern eines Gezüchtigten. Ich horchte ganz unwillkürlich auf.
»Höre nicht darauf,« mahnte der Pascha. »Es ist mein Hekim.«
»Dein Arzt?« fragte ich verwundert.
»Ja. Hast du einmal Disch aghrisigehabt?«
Zahnschmerzen.
»Als Kind.«
»So weißt du, wie es thut. Ich habe einen kranken Zahn. Dieser Hund sollte ihn mir herausnehmen; aber er machte es so ungeschickt, daß es mir zu wehe that. Nun wird er dafür ausgepeitscht. Jetzt kann ich den Mund nicht zubringen.«
Den Mund nicht zubringen? Sollte der Zahn bereits gehoben sein? Ich beschloß, dies zu benutzen.
»Darf ich den kranken Zahn einmal sehen, o Pascha?«
»Bist du ein Hekim?«
»Bei Gelegenheit.«
»So komm her! Unten rechts!«
Er öffnete den Mund, und ich guckte hinein.
»Erlaubst du mir, den Zahn zu befühlen?«
»Wenn es nicht wehe thut!«
Ich hätte dem gestrengen Pascha beinahe in das Gesicht gelacht. Es war der Eckzahn, und er hing so lose zwischen dem angeschwollenen Zahnfleische, daß ich nur der Finger bedurfte, um die unterbrochene Operation zu vollenden.
»Wie viele Streiche soll der Hekim erhalten?«
»Sechzig.«
»Willst du ihm die noch fehlenden erlassen, wenn ich dir den Zahn herausnehme, ohne daß es dich schmerzt?«
»Du kannst es nicht!«
»Ich kann es!«
»Gut! Aber wenn es mich schmerzt, so bekommst du die Hiebe, die ihm erlassen werden.«
Er klatschte in die Hände, und ein Offizier trat herein.
»Laßt den Hekim los! Dieser Fremdling hat für ihn gebeten.«
Der Mann trat mit einem sehr erstaunten Gesichte zurück.
Nun streckte ich dem Pascha zwei Finger in den Mund, drückte erst – des Hokuspokus wegen – ein wenig an dem Nachbarzahne herum, faßte dann den kranken Eckzahn und nahm ihn weg. Der Patient zuckte mit den Wimpern, schien aber gar nicht zu ahnen, daß ich den Zahn bereits hatte. Er faßte meine Hand schnell und schob sie von sich weg.
»Wenn du ein Hekim bist, so probiere nicht erst lange! Hier liegt das Ding!«
Er deutete auf den Fußboden. Ich hielt den Zahn unbemerkt zwischen den Fingern und bückte mich. Der Gegenstand, den ich da liegen sah, war ein alter, ganz unmöglich gewordener Geisfuß, und daneben lag eine Zahnzange – aber was für eine! Man hätte mit derselben jede Sorte von Plättstählen aus dem Feuer nehmen können. Ein klein wenig Spiegelfechterei konnte nichts schaden. Ich fuhr dem Pascha mit dem Geisfuße in den nicht allzu kleinen Mund.
»Paß auf, ob es wehe thut! Bir – iki – itsch – eins, zwei, drei! Hier ist der Ungehorsame, welcher dir solche Schmerzen bereitet hat!« Ich gab ihm den Zahn.
Er sah mich ganz erstaunt an.
»Maschallah! Ich habe gar nichts gefühlt!«
»So können es die Ärzte der Nemsi, o Pascha!«
Er fühlte sich in den Mund; er besah den Zahn, und nun erst war er überzeugt, daß er von demselben befreit worden sei.
»Du bist ein großer Hekim! Wie soll ich dich nennen?«
»Die Beni Arab nennen mich Kara Ben Nemsi.«
»Nimmst du jeden Zahn so gut heraus?«
»Hm! Unter Umständen!«
Er klatschte abermals in die Hände, und der vorige Offizier erschien.
»Frage überall im Hause nach, ob jemand Zahnschmerzen hat!«
Der Adjutant verschwand, und mir war es ganz so, als ob ich jetzt selbst Zahnschmerzen bekommen hätte, trotzdem die Miene des Pascha sehr gnädig geworden war.
»Warum folgtest du meinen Boten nicht sofort?« fragte er.
»Weil sie mich beschimpften.«
»Erzähle!«
Ich berichtete ihm das Vorkommnis. Er hörte aufmerksam zu und erhob dann drohend seine Hand.
»Du thatest unrecht. Ich hatte es befohlen, und du mußtest sofort kommen. Danke Allah, daß er dir offenbarte, die Zähne ohne Schmerzen herauszunehmen!«
»Was hättest du mir gethan?«
»Du wärst bestraft worden. Wie, das weiß ich jetzt nicht.«
»Bestraft? Das hättest du nicht gethan!«
»Maschallah! Warum nicht? Wer sollte mich hindern?«
»Der Großherr selbst.«
»Der Großherr?« fragte er verblüfft.
»Kein anderer. Ich habe nichts verbrochen und darf wohl verlangen, daß deine Aghas höflich gegen mich sind. Oder meinst du, daß es nicht notwendig sei, dieses Tirschehzu berücksichtigen? Hier nimm und
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