Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
desselben. Als diese Operation beendet war, drehte der Esel den Kopf nach hinten, um den Stein mit dem Maule zu entfernen; dies ging natürlich nicht. Jetzt versuchte er, den Stein mit dem Schwanze fortzuschleudern; er war aber zu schwer, und der Schwanz brachte es bloß bis zu einer kleinen Pendelbewegung, welche aber sofort eingestellt wurde, weil der Stein dabei an die Beine schlug. Der Esel befand sich ganz augenscheinlich in einer Art von Verblüffung; er schielte mit den Augen nach hinten; er wedelte höchst nachdenklich mit den langen Ohren; er schnaubte und öffnete endlich das Maul, um zu schreien – aber die Stimme versagte ihm; das Bewußtsein, daß seine größte Zierde hinten fest und niedergehalten werde, raubte ihm vollständig das Vermögen, seine Gefühle in edlen Tönen auszudrücken.
»Allah hu; er schreit wahrhaftig nicht!« rief der Baschi-Bozuk. »Emir, du bist der weiseste Mann, den ich gesehen habe!«
Ich ging fort und legte mich zur Ruhe. Unten aber standen die Pilger noch lange, um abzuwarten, ob das Wunder wirklich gelungen sei.
Ich wurde bereits am frühen Morgen durch das rege Leben geweckt, welches im Dorfe hin und her flutete. Es kamen bereits wieder Pilger, welche teils in Baadri blieben, teils aber auch nach einer kurzen Rast nach Scheik Adi weiter zogen. Der erste, welcher bei mir eintrat, war Scheik Mohammed Emin.
»Hast du hinunter vor das Haus gesehen?« fragte er mich.
»Nein.«
»Blicke hinab!«
Ich trat hinaus auf das Dach und sah hinunter. Da standen hunderte von Menschen bei dem Esel und staunten ihn mit großen Augen an. Einer hatte dem andern erzählt, was geschehen war, und als sie mich hier oben erblickten, traten sie ehrfurchtsvoll vom Hause zurück. Das hatte ich nicht beabsichtigt! Ich war einem lustigen Einfalle gefolgt, keineswegs aber wollte ich diese Leute in ihrem thörichten Aberglauben bestärken.
Auch Scheik Ali kam. Er lächelte, als er mich grüßte.
»Emir, wir haben dir eine ruhige Nacht zu verdanken. Du bist ein großer Zauberer. Wird der Esel wieder schreien, wenn der Stein entfernt ist?«
»Ja. Das Tier fürchtet sich bei Nacht und will sich durch den Klang seiner eigenen Stimme ermutigen.«
»Wollt ihr mir zum Frühmahle folgen?«
Wir gingen hinab in die Frauenwohnung. Dort befand sich bereits Halef nebst dem Sohn Seleks, den ich meinen Dolmetscher im Kurdischen nennen mußte, und auch Ifra, der eine auffallend betrübte Miene machte. Die Frau des Bey kam mir mit einem freundlichen Gesicht entgegen und bot mir die Hand.
»Sabah’l kher – guten Morgen!« grüßte ich sie.
»Sabah’l kher!« antwortete sie. »Keifata ciava – wie ist dein Befinden?«
»Kangia! Tu ciava – gut; wie befindest du dich?«
»Skuker quode kangia – Gott sei Dank, gut!«
»Du redest ja Kurmangdschi!« rief Ali Bey erstaunt.
»Nur das, was ich gestern abend aus dem Buche des Pir gelernt habe,« antwortete ich. »Und das ist wenig genug.«
»Kommt herbei und setzt euch!«
Es gab zunächst Kaffee mit Honigkuchen und dann Hammelbraten, den man in dünnen, breiten Stücken wie Brot aß. Dazu trank man Arpa, eine Art Dünnbier, welches der Türke Arpasu, Gerstenwasser, zu nennen pflegt. Alle nahmen an dieser Mahlzeit teil; nur der Buluk Emini kauerte trübsinnig seitwärts.
»Ifra, warum kommst du nicht zu uns?« fragte ich ihn.
»Ich kann nicht essen, Emir,« antwortete er.
»Was fehlt dir?«
»Trost, Herr. Ich habe bisher meinen Esel geritten, geschlagen und geschimpft, habe ihn so wenig gebürstet und gewaschen, habe ihn wohl auch oft hungern lassen, und nun höre ich, daß es der Vater meines Vaters ist. Draußen steht er, und noch immer hängt ihm der Stein am Schwanz!«
Der Buluk Emini war zu bedauern, und mein Gewissen regte sich; aber die Situation war doch in Wahrheit so toll, daß ich mich nicht enthalten konnte, laut aufzulachen.
»Du lachest!« erwiderte er vorwurfsvoll. »Hättest du einen Esel, welcher der Vater deines Vaters ist, so würdest du weinen. Ich soll dich nach Amadijah bringen, aber ich kann nicht; denn ich setze mich nie wieder auf den Geist meines Großvaters!«
»Das sollst du auch nicht; das wäre ja auch gar nicht möglich, denn auf einen Geist kann sich niemand setzen.«
»Auf wem soll ich denn reiten?«
»Auf deinem Esel.«
Er sah mich mit einem ganz verwirrten Blick an.
»Aber mein Esel ist doch ein Geist; du hast es ja gesagt!«
»Das war nur Scherz.«
»O, du sagst dies nur, um mich zu beruhigen!«
»Nein,
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