Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Erde und auf alle Sterne.«
»Nun ist er der Herr derjenigen, die in der Dschehennah wohnen?«
»Nein. Ihr glaubt wohl, daß er ewig unglücklich ist?«
»Ja.«
»Glaubt ihr auch, daß Gott allgütig, gnädig und barmherzig ist?«
»Ja.«
»Dann wird er auch verzeihen – den Menschen und den Engeln, welche gegen ihn sündigen. Das glauben wir, und darum bedauern wir jenen, welchen du meinst. Jetzt kann er uns schaden, und darum nennen wir seinen Namen nicht. Später, wenn er seine Macht zurück erhält, kann er die Menschen belohnen, und darum reden wir nichts Böses von ihm.«
»Ihr verehrt ihn? Ihr betet ihn an?«
»Nein, denn er ist Gottes Geschöpf wie wir; aber wir hüten uns, ihn zu beleidigen.«
»Was bedeutet der Hahn, welcher bei euren Gottesdiensten zugegen ist?«
»Der bedeutet jenen nicht, welchen du meinst. Er ist ein Bild der Wachsamkeit. Hat euch Azerat Esau, der Sohn Gottes, nicht erzählt von den Jungfrauen, welche den Bräutigam erwarteten?«
»Ja.«
»Fünf von ihnen schliefen ein und dürfen nun nicht in den Himmel. Kennst du die Erzählung von dem Jünger, welcher seinen Meister verleugnete?«
»Ja.«
»Auch da krähte der Hahn. Darum ist er bei uns das Zeichen, daß wir wachen, daß wir den großen Bräutigam erwarten.«
»Glaubt ihr das, was die Bibel erzählt?«
»Wir glauben es, obgleich ich nicht alles weiß, was sie erzählt.«
»Habt ihr nicht auch ein heiliges Buch, in welchem eure Lehren verzeichnet sind?«
»Wir hatten ein solches. Es wurde in Baascheikha aufbewahrt, aber ich habe gehört, daß es verloren gegangen ist.«
»Welches sind eure heiligen Handlungen?«
»Du wirst sie alle in Scheik Adi kennen lernen.«
»Kannst du mir sagen, wer Scheik Adi war?«
»Das weiß ich nicht genau.«
»Betet ihr zu ihm?«
»Nein. Wir verehren ihn nur dadurch, daß wir an seinem Grabe zu Gott beten. Er war ein Heiliger und wohnt bei Gott.«
»Welche Arten von Priestern giebt es bei euch?«
»Zunächst kommen die Pirs. Dieses Wort heißt eigentlich ein alter oder ein weiser Mann; hier aber bedeutet es ein heiliger Mann.«
»Wie kleiden sie sich?«
»Sie können sich kleiden, wie es ihnen gefällt; aber sie führen ein sehr frommes Leben, und Gott giebt ihnen die Macht, durch ihre Fürbitte alle Krankheiten des Leibes und der Seele zu heilen.«
»Giebt es viele Pirs?«
»Ich kenne jetzt nur drei. Pir Kamek ist der größte von ihnen.«
»Weiter!«
»Nach ihnen kommen die Scheiks. Sie müssen so viel Arabisch lernen, um unsere heiligen Lieder zu verstehen.«
»Werden diese in arabischer Sprache gesungen?«
»Ja.«
»Warum nicht in kurdischer?«
»Ich weiß es nicht. Aus den Scheiks werden die Wächter des heiligen Grabes gewählt, wo sie das Feuer unterhalten und die Pilger bewirten müssen.«
»Haben sie eine besondere Kleidung?«
»Sie gehen ganz weiß gekleidet und tragen als Zeichen ihres Amtes einen Gürtel, welcher rot und gelb ist. Nach diesen Scheiks kommen die Prediger, welche wir Kawals nennen. Sie können die heiligen Instrumente spielen und gehen von Ort zu Ort, um die Gläubigen zu belehren.«
»Welches sind die heiligen Instrumente?«
»Das Tamburin und die Flöte. Auch verstehen die Kawals bei den hohen Festen zu singen.«
»Wie kleiden sie sich?«
»Sie können alle Farben tragen, doch kleiden sie sich gewöhnlich weiß. Dann aber muß ihr Turban schwarz sein, zur Unterscheidung von den Scheiks. Nach ihnen kommen die Fakirs, welche die niederen Dienste am Grabe und auch anderswo verrichten. Sie haben meist dunkle Gewänder und tragen ein rotes Tuch quer über dem Turban.«
»Wer ernennt eure Priester?«
»Sie werden nicht ernannt, denn diese Würde ist erblich. Wenn ein Priester stirbt und keinen Sohn hinterläßt, so geht sein Amt auf seine älteste Tochter über.«
Das war allerdings höchst merkwürdig, besonders im Orient!
»Und wer ist der Oberste aller Priester?«
»Der Scheik von Baadri. Du hast ihn noch nicht gesehen, denn er befindet sich bereits in Scheik Adi, um das Fest vorzubereiten. Hast du noch etwas zu fragen?«
»Noch vieles! Werden eure Kinder getauft?«
»Getauft und beschnitten.«
»Giebt es unreine Speisen, welche ihr nicht essen dürft?«
»Wir essen kein Schweinfleisch und haben keine blaue Farbe, denn der Himmel ist so erhaben, daß wir seine Farbe nicht unsern irdischen Dingen geben mögen.«
»Habt ihr eine Kiblah?«
»Ja. Wenn wir beten, so wenden wir das Angesicht dem Orte zu, an welchem an diesem Tage die
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