Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
meine Worte ebenso deutlich, als wenn ich bei Dir stünde. Aber« – und dabei gab ich Halef, der mich sofort verstand, einen Wink – »aber siehst Du diesen Mann? Er ist mein Diener; er hat die Büchse in der Hand und zielt auf Dich. Sobald sich eine einzige Waffe gegen mich erhebt, erschießt er Dich, Miralai, und dann werde ich grad so sagen wie Du, nämlich: Es galt nicht Dir!«
Halef kniete hart am Rande der Plattform und hielt seine Büchse auf den Kopf des Obersten gerichtet. Dieser wechselte die Farbe, ob vor Angst oder vor Wuth, das weiß ich nicht.
»Thut das Gewehr fort!« rief er.
»Es bleibt!«
»Mensch, ich habe fast zweitausend Soldaten hier; ich kann Dich zermalmen!«
»Und ich habe diesen einen bei mir; ich kann Dich mit einem Winke zu Deinen Vätern senden!«
»Die Meinen würden mich fürchterlich rächen!«
»Es würden viele von ihnen zu Grunde gehen, ehe es ihnen gelänge, in dieses Haus zu dringen. Übrigens ist das Thal von viertausend Kriegern umschlossen, denen es ein Leichtes ist, Euch innerhalb einer halben Stunde aufzureiben.«
»Wie viele, sagst Du?«
»Viertausend. Schau hinauf auf die Höhen! Siehst Du nicht Kopf an Kopf? Dort steigt ein Mann hernieder, der mit seinem weißen Turbantuche weht. Es ist gewiß ein Bote des Bey von Baadri, der mit Dir verhandeln soll. Gewähre ihm ein sicheres Geleite und empfange ihn der Sitte gemäß; das wird zu Deinem Besten dienen!«
»Ich brauche Deine Lehren nicht. Die Rebellen sollen nur kommen! Wo sind die Dschesidi alle?«
»Laß Dir erzählen! Ali Bey hörte, daß Du die Pilger überfallen solltest. Er sandte Boten aus und ließ die Truppen aus Mossul, Diarbekir und Kjerkjuk beobachten. Die Frauen und Kinder wurden in Sicherheit gebracht. Er stellte Deinem Anzuge nichts in den Weg, aber er verließ das Thal und schloß dasselbe ein. Er ist Dir weit überlegen an Anzahl der Krieger und auch in Beziehung auf das Terrain. Er befindet sich in Besitz Deiner Artillerie mit ihrer ganzen Munition. Du bist verloren, wenn Du nicht freundlich mit seinem Abgesandten verhandelst!«
»Ich danke Dir, Franke! Ich werde erst mit ihm verhandeln und dann auch mit Dir. Du hast das Bu-djeruldi des Großherrn und den Ferman des Mutessarif und machst doch gemeinschaftliche Sache mit ihren Feinden. Du bist ein Verräther und wirst Deine Strafe finden!«
Da drängte Nasir Agassi, der Adjutant, sein Pferd zu ihm heran und sagte ihm einige Worte. Der Oberst deutete auf mich und frug:
»Dieser wäre es gewesen?«
»Er war es. Er gehört nicht zu den Feinden; er ist zufällig ihr Gast und hat mir das Leben gerettet.«
»So werden wir weiter darüber reden. Jetzt aber kommt in jenes Gebäude!«
Sie ritten nach dem Tempel der Sonne, stiegen vor demselben ab und traten ein.
Mittlerweile war der Parlamentair von Fels zu Fels springend, in grader Linie herab in das Thal und über den Bach herübergekommen. Er trat auch in den Tempel ein. Kein Schuß fiel; es herrschte Ruhe, und nur der Schritt der Soldaten ertönte, welche sich von dem oberen Theile des Thales, wo sie sich zu sehr bloßgestellt sahen, mehr nach unten ausbreiteten.
Wohl über eine halbe Stunde verging. Da trat der Parlamentair wieder in das Freie, aber nicht allein, sondern er wurde – geführt. Man hatte ihn gebunden. Der Miralai, welcher auch am Eingange des Gebäudes erschien, blickte sich um, sah den Scheiterhaufen und deutete auf denselben. Es wurden zehn Arnauten herbei gerufen; diese nahmen den Mann in ihre Mitte und schleppten ihn zum Holzstoß. Während Mehrere ihn hielten, griffen die anderen nach ihren Gewehren – er sollte erschossen werden.
»Halt!« rief ich zum Obersten hinüber. »Was willst Du thun? Er ist ein Abgesandter, also eine unverletzliche Person!«
»Er ist ein Rebell, wie Du. Erst er, dann Du; denn nun wissen wir, wer die Artilleristen überfallen hat!«
Er winkte; die Schüsse krachten; der Mann war todt. Da aber geschah etwas, was ich nicht erwartet hatte: durch die Soldaten drängte sich ein Mann. Es war der Pir Kamek. Er erreichte den Scheiterhaufen und kniete bei dem Toten nieder.
»Ah, ein Zweiter!« rief der Oberst und schritt hinzu. »Erhebe Dich, und antworte mir!«
Weiter konnte ich nichts hören, denn die Entfernung wurde zu groß. Ich sah nur die feierlichen Gesten des Pir und die zornigen des Miralai. Dann bemerkte ich, daß der Erstere die Hände in den Haufen steckte, und einige Sekunden später züngelte eine Flamme blitzschnell an demselben
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