Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
empor. Eine Ahnung durchzuckte mich. Großer Gott, sollte er ein solches Opfer, eine solche Strafe, eine solche Rache an dem Mörder seiner Söhne und seines Weibes gemeint haben!
Er wurde ergriffen und von dem Haufen weggerissen, aber bereits war es zu spät, die Flamme zu löschen, die in dem Erdpeche eine furchtbare Nahrung gefunden hatte. In der Zeit von kaum einer Minute war sie bereits zur hellen Lohe geworden, welche hoch zum Himmel schlug.
Der Pir stand umringt und festgehalten; der Miralai schien den Platz verlassen zu wollen. Da aber kehrte er um und ging zu dem Priester zurück. Sie sprachen zusammen, der Oberst erregt, der Pir aber ruhig und mit geschlossenen Augen. Doch plötzlich öffnete er sie, warf die Zwei, welche ihn hielten, von sich und packte den Oberst. Mit der Körperkraft eines Riesen hob er ihn empor – zwei Sprünge, und er stand vor dem Scheiterhaufen; noch einer – sie verschwanden in der lohenden Gluth, die über ihnen zusammenschlug. Eine Bewegung im Innern derselben ließ vermuthen, daß die beiden dem Flammentode Geweihten, mit einander kämpften; der Eine, um sein Leben zu retten, und der Andere, um ihn sterbend festzuhalten.
Es war mir, als sei ich bei der grimmigsten Winterkälte in das Wasser gestürzt. Also darum war dieser Tag ›der wichtigste seines Lebens‹, wie er, der Priester, zu mir gesagt hatte? Ja, der wichtigste Tag des Lebens ist derjenige, an welchem man dieses Leben verläßt, um sich den brandenden Fluthen der Ewigkeit anzuvertrauen. Also diese fürchterliche Rache an dem Miralai war das ›letzte Wort‹, welches seine Hand verzeichnen sollte in jenes Buch, darinnen verzeichnet steht die blutige Geschichte der Dschesidi, der Verachteten und Verfolgten? Also dieses Feuer war das ›Element‹, in dem sein Leib begraben werden sollte, und dem er darum auch sein Kleid überlassen wollte?
Schrecklich! Ich schloß die Augen. Ich mochte nichts mehr sehen, nichts mehr wissen; ich ging hinunter in die Stube und legte mich auf das Polster, mit dem Gesicht an die Wand. Noch einige Zeit lang war es draußen verhältnismäßig ruhig, dann aber begann das Schießen von Neuem. Mich ging das nichts an. Wenn mir Gefahr drohte, würde mich Halef ganz sicher benachrichtigen. Ich sah nur die langen weißen Haare, den wallenden schwarzen Bart und die goldblitzende Uniform in dem Brodem des Scheiterhaufens verschwinden. Mein Gott, wie werthvoll, wie unendlich kostbar ist ein Menschenleben, und dennoch, – dennoch – dennoch – – –!
So verging eine geraume Zeit; da hörte das Schießen auf, und ich vernahm Schritte auf der Treppe. Halef trat ein.
»Sihdi, Du sollst auf das Dach kommen!«
»Weßhalb?«
»Ein Offizier verlangt nach Dir.«
Ich stand auf und begab mich wieder hinauf. Ein einziger Blick belehrte mich über den Stand der Dinge. Die Dschesidi hielten nicht mehr die Höhen besetzt, sie waren vielmehr nach und nach hernieder gestiegen. Hinter jedem Stein, hinter jedem Baum oder Strauch hielt sich Einer verborgen, um aus dieser sichern Stellung seine Kugel zu versenden. Im untern Theile des Thales hatten sie sogar, durch die Geschütze gedeckt, bereits die Sohle erreicht und sich in dem Gebüsch am Bache eingenistet. Es fehlte nur noch Eins: wenn die Geschütze nur eine kurze Strecke noch herauf avancirten, so konnten mit einigen Salven sämmtliche Türken vernichtet werden.
Vor dem Hause stand Nasir Agassi.
»Herr, wirst Du noch einmal mit uns sprechen?« frug er.
»Was habt Ihr mir zu sagen?«
»Wir wollen einen Boten zu Ali Bey senden, und weil der Miralai, dem Allah das Paradies schenken möge« – er deutete dabei nach dem noch immer qualmenden Scheiterhaufen – »den Boten der Dschesidi getödtet hat, so kann Keiner von uns gehen. Willst Du es thun?«
»Ich will. Was soll ich sagen?«
»Der Kaimakam wird es Dir befehlen. Er führt jetzt das Commando und ist in jenem Hause. Komm herüber!«
»Befehlen? Euer Kaimakam hat mir nicht das Mindeste zu befehlen. Was ich thue, das thue ich freiwillig. Der Kaimakam mag kommen und mir sagen, was er mir zu sagen hat. Dieses Haus steht ihm offen, aber nur ihm und höchstens noch einer zweiten Person. Wer sich sonst naht, den lasse ich niederschießen.«
»Wer ist außer Dir im Hause?«
»Mein Diener und ein Kawaß des Mutessarif, ein Baschi-Bozuk.«
»Wie heißt er?«
»Er ist der Buluk Emini Ifra.«
»Ifra? Mit seinem Esel?«
»Ja,« lachte ich.
»So bist Du der Fremdling, welcher den arnautischen
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