Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
habe Mehreren offenbart, wo es liegt, und diese hätten Dir es mitgetheilt.«
»Wo ist der Bey?«
»Oben auf der Klippe, von welcher aus man das Thal am besten überblicken kann. Erlaube, daß ich Dich führe!«
Er nahm das Gewehr über die Schulter und schritt voran. Wir erreichten die Höhe, und es war von Interesse, hier hinabzublicken auf die Verstecke, hinter denen die Dschesidi standen, saßen, hockten und lagen, ganz bereit, bei dem Zeichen ihres Anführers den Kampf nun im vollen Ernste zu beginnen. Hier kam man noch besser als unten zu der Überzeugung, daß die Türken verloren wären, wenn es ihnen nicht gelänge, mit ihren Belagerern einig zu werden. Hier an derselben Stelle hatte ich mit Ali Bey gestanden, als wir die vermeintlichen Sterne beobachteten, und jetzt, nur wenige Stunden später, stand die kleine Secte, welche es gewagt hatte, den Kampf mit den Truppen des Großherrn aufzunehmen, bereits als Sieger da.
Wir ritten nun links weiter, bis wir zu einem Felsen gelangten, der sich ein weniges über den Rand des Thales hervorstreckte. Hier saß der Bey mit seinem Stabe, welcher nur aus drei barfüßigen Dschesidi bestand. Er kam mir erfreut entgegen.
»Ich danke dem Allgütigen, der Dich gesund und unversehrt erhalten hat!« sagte er herzlich. »Ist Dir Übles begegnet?«
»Nein, sonst hätte ich Dir das Zeichen gegeben.«
»Komm her!«
Ich stieg ab und folgte ihm auf den Felsen. Man konnte von hier aus Alles deutlich sehen, das Heiligtum, das Haus des Bey, da unten die Batterie hinter der Verschanzung und die beiden Seitenwände des Thales.
»Siehst Du die weiße Stelle auf meinem Hause?« frug er.
»Ja. Es ist der Shawl.«
»Wäre er verschwunden, so hätte ich ein Zeichen gegeben, und fünfhundert meiner Leute wären Sturm hinabgelaufen, unter dem Schutze der Kanonen, welche den Feind zurückgehalten hätten.«
»Ich danke Dir, Bey. Es ist mir nichts geschehen, als daß der Miralai einmal nach mir schoß; aber ohne mich zu treffen.«
»Das soll er büßen!«
»Er hat es bereits gebüßt.«
Ich erzählte ihm Alles, was ich gesehen hatte, und berichtete ihm auch die Worte, in denen der Abschied des Pir von mir enthalten war. Er hörte aufmerksam und in tiefster Bewegung zu; aber als ich geendet hatte, sagte er nichts als:
»Er war ein Held!«
Dann versank er in ein tiefes Sinnen, aus welchem er erst nach einer Weile wieder erwachte.
»Und was sagst Du? Sie haben meinen Boten getödtet?«
»Sie haben ihn hingerichtet, erschossen.«
»Wer hat den Befehl dazu ertheilt?«
»Jedenfalls der Miralai.«
»O lebte er noch!« knirschte er. »Ich ahnte, daß dem Boten etwas widerfahre. Ich hatte ihm gesagt, daß ich den Kampf wieder beginnen werde, wenn er binnen einer halben Stunde nicht zurückgekehrt sei. Aber ich werde ihn rächen; ich werde jetzt das Zeichen geben, daß nun endlich Ernst gemacht werden soll!«
»Warte noch, denn ich habe vorher mit Dir zu reden. Der Kaimakam, welcher jetzt das Commando führt, hat mich zu Dir gesandt.«
Ich erzählte ihm nun wortgetreu meine ganze Unterredung mit dem Oberstlieutenant und dem Makredsch. Als ich den Letzteren in Erwähnung brachte, zog er die Brauen finster zusammen, doch hörte er mich ruhig bis zu Ende an.
»Also der Makredsch ist dabei! O, nun weiß ich, wem wir das Alles zu verdanken haben! Er ist der schlimmste Feind der Dschesidi; er haßt sie; er ist ihr Vampyr, ihr Blutsauger, und er hat auch jenem Morde die Wendung gegeben, welche zur Handhabe geworden ist, durch diesen Überfall eine Contribution von uns zu erzwingen. Aber meine Gesandtschaft, welche nach Stambul gegangen ist, wird auch zum Anadoli Kasi Askeri gehen, um ihm einen Brief von mir zu überbringen, den mir der Pir Kamek noch geschrieben hat. Beide kannten sich und hatten sich lieb, und der Pir ist lange Zeit sein Gast gewesen. Er weiß die Lüge von der Wahrheit zu unterscheiden und wird uns Hilfe bringen.«
»Das wünsche ich Dir von Herzen. Aber wen wirst Du zu dem Kaimakam senden? Ein gewöhnlicher Mann darf es nicht sein, sonst wird er überlistet.«
»Wen ich senden werde, fragest Du? Niemand werde ich senden, keinen Menschen. Nur ich selbst werde mit ihnen sprechen. Ich bin das Haupt der Meinen; er ist der Anführer der Seinen, und wir Beide haben zu entscheiden. Aber ich bin der Sieger, und er ist der Besiegte; er mag zu mir kommen!«
»So ist es recht!«
»Ich werde ihn hier erwarten. Ich werde ihm freies Geleit geben; aber wenn er in dreißig
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