Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Reisenden oder Forschern bestätigt worden sind, und ich wurde lebhaft an ihn erinnert, als ich jetzt auf der östlichen Höhe von Scheik Adi hielt und einen Blick nach Morgen richtete, wo sich die Berge von Surgh, Zibar, Haïr, Tura Ghara, Baz, Dschelu, Tkhoma, Karitha und Tijari erhoben.
In den Thälern, welche zwischen ihnen liegen, wohnen die Letzten jener christlichen Sectierer, denen dieser Tatarenkönig angehörte. Zu seiner Zeit waren sie mächtig und einflußreich; die Sitze ihrer Metropolitanen lagen über den ganzen asiatischen Continent zerstreut, von den Küsten des kaspischen Meeres bis zu den chinesischen Seen und von den allernördlichsten Grenzen Skythien’s bis zum äußersten südlichen Ende der indischen Halbinsel. Sie waren die Rathgeber Mohammed’s und seiner Nachfolger. Die christlichen Anklänge des Kuran sind meist ihren Büchern und Lehren entnommen. Aber mit dem Falle der Khalifen brach auch ihre Macht zusammen, und zwar mit reißender Schnelligkeit; denn ihre innere, geistliche Constitution entbehrte der göttlichen Reinheit, welche die Kraft eines unbesiegbaren Widerstandes verleiht. Bereits unter der Regierung des Kassan, der ein Sohn des Arghun und ein Enkel des berühmten Eroberers von Baghdad, Hulaku Khan, war, begannen die Verfolgungen gegen sie. Dann aber brach der große Tamerlan unbarmherzig über sie herein. Mit unersättlicher Wuth verfolgte er sie, zerstörte ihre Kirchen und brachte Alle, denen es nicht gelang, in die unzugänglichen Berge Kurdistan’s zu entkommen, mit dem Schwerte um. Die Urenkel dieser Entkommenen leben noch heute an Plätzen, welche Festungen verglichen werden können. Sie, die Überreste des einst so mächtigen assyrischen Volkes, sehen allzeit das Schwert der Türken und den Dolch der Kurden über sich schweben und haben in neuerer Zeit Grausamkeiten zu ertragen gehabt, bei deren Erzählung sich die Haare sträuben. Einen großen Theil der Schuld daran haben jedenfalls jene überseeischen Missionäre zu tragen, welche ihren Schul- und Bethäusern das Ansehen von Fortificationen gaben und dadurch das Mißtrauen der dortigen Machthaber erweckten. Damit und durch ähnliche Unvorsichtigkeiten haben sie sowohl ihrem Werke als auch den Anhängern desselben gleich großen Schaden bereitet.
Auf meinem Ritt nach Amadijah kam ich voraussichtlich auch in Ortschaften, die von diesen chaldäischen Christen bewohnt wurden; Grund genug, an jenen Brief zu denken, welcher ihre Vergangenheit am lebhaftesten illustrirt. Einst Minister und Berather von Fürsten und Khalifen, sind sie jetzt, soweit sie nicht zur heiligen christkatholischen Kirche zurückgekehrt sind, so ohne alle innere und äußere Kraft, daß Männer wie der berüchtigte Beder Khan Bey und sein Verbündeter Abd el Summit Bey die fürchterlichsten Metzeleien unter ihnen anrichten konnten, ohne den geringsten Widerstand zu finden. Und doch hätte das schwer zugängliche Terrain, welches sie bewohnen, ihnen die erfolgreichste Vertheidigung an die Hand gegeben.
Wie ungleich männlicher hatten sich dagegen die Dschesidi verhalten!
Nach jener Flammennacht im Thale Idiz war Ali Bey nach Dscherraijah geritten, scheinbar nur von zehn Männern begleitet. Aber noch vor seinem Aufbruche hatte er eine hinreichende Anzahl von Kriegern in die Nähe von Bozan vorausgesandt.
Der Mutessarif war wirklich mit einer gleich großen Begleitung eingetroffen, aber Ali Bey hatte durch seine Kundschafter erfahren, daß zwischen Scio Khan und Ras ul Aïn eine beträchtliche Truppenmacht zusammengezogen worden sei, um noch desselben Tages nach Scheik Adi vorzugehen. Auf diese Kunde hin hatte er den Mutessarif einfach einschließen lassen und zum Gefangenen gemacht. Um seine Freiheit wieder zu erhalten, hatte dieser sich nun gezwungen gesehen, alle hinterlistigen Pläne aufzugeben und auf die friedlichen Vorschläge des Bey einzugehen.
Die Folge davon war, daß das unterbrochene Fest der Dschesidi wieder aufgenommen und mit einem Jubel begangen wurde, dessen Zeuge Scheik Adi wohl noch nie gewesen war.
Nach Ablauf dieser Feste wollte ich nach Amadijah aufbrechen, erfuhr aber, daß Mohammed Emin sich in den Bergen von Kaloni den Fuß vertreten hatte, und so war ich gezwungen, drei Wochen lang seine Wiederherstellung abzuwarten. Indeß ging mir diese Zeit nicht ungenützt vorüber, da sie mir die höchst willkommene Gelegenheit bot, mich mit dem Kurdischen vertrauter als bisher zu machen.
Endlich benachrichtigte mich der
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