Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
eine ganz unerwartete, frappante Wendung erhalten. Für was er mich nahm, das konnte ich zwar hören und vermuthen, nicht aber sicher behaupten; und doch führte mich der eigenthümliche Gang unsers Gespräches dazu, ihm Dinge zu sagen, Dinge wissen oder ahnen zu lassen, von denen er recht wohl auf die Absicht unserer Anwesenheit hätte schließen können. Er hatte wohl kaum das rechte Zeug, ein guter Dorfältester, viel weniger aber Mutesselim zu sein; und doch dauerte er mich im Geheimen, wenn ich an die Verlegenheit dachte, in welche ihn das Gelingen unsers Vorhabens bringen mußte. Die Möglichkeit, ihn dabei zu schonen, wäre mir willkommen gewesen; aber es gab sie ja nicht.
Die Fortsetzung unseres Gespräches wurde aufgeschoben, da man das Essen brachte. Es bestand aus einigen Stücken des geliehenen Hammels und einem mageren Pillau. Der Commandant langte fleißig zu und vergaß dabei das Sprechen; als er sich aber gesättigt hatte, frug er:
»Du wirst den Kurden wirklich bei Dir treffen?«
»Ja; denn ich glaube, daß er sein Wort hält.«
»Und ihn wieder zu mir schicken?«
»Wenn Du es haben willst, ja.
»Wird er auf Dich warten?«
Dies war ein leiser Fingerzeig, der seinen Grund nicht in einem Mangel an Gastfreundlichkeit, sondern in der Besorgniß hatte, daß der Bote die Geduld auch bei mir verlieren werde. Darum antwortete ich:
»Er will bald aufbrechen, und darum wird es gerathen sein, daß ich ihn nicht ermüde. Erlaubst Du, daß wir gehen?«
»Unter der Bedingung, daß Du mir versprichst, heute Abend abermals mein Gast zu sein.«
»Ich verspreche es. Wann wünschest Du, daß ich komme?«
»Ich werde es Dir durch Selim Agha wissen lassen. Überhaupt bist Du mir willkommen, wann und so oft Du kommst.«
Unser Gastmahl hatte also nicht lange Zeit in Anspruch genommen. Wir brachen auf und wurden in sehr höflicher Weise von ihm bis hinunter vor das Thor begleitet. Dort warteten unsere beiden Begleiter mit den Pferden auf uns.
»Du hast einen Baschi-Bozuk bei Dir?« frug der Commandant.
»Ja, als Khawaß. Der Mutessarif bot mir ein großes Gefolge an, doch ich bin gewohnt, mich selbst zu beschützen.«
Jetzt erblickte er den Rappen.
»Welch ein Pferd! Hast Du es gekauft oder groß gezogen?«
»Es ist ein Geschenk.«
»Ein Geschenk! Herr, der es Dir schenkte, ist ein Fürst gewesen! Wer war es?«
»Auch das ist ein Geheimniß; aber Du wirst ihn vielleicht bald sehen.«
Wir stiegen auf, und sofort brüllte Selim Agha seiner Wachtparade, die auf uns gewartet hatte, den Befehl entgegen:
»Silahlarile nischanlaryn – zielt mit den Gewehren!«
Sie legten an, aber nicht zwei von den Flinten bildeten eine Linie mit einander.
»Tschalghy, schamataji kylyn – Musik, macht Lärm!«
Das vorige Wimmern und Kaffeemahlen begann.
»Hepsi herbiri halan atyn – schießt Alle zugleich los!«
O weh! Kaum die Hälfte dieser Mordgewehre hatte den Muth, einen Laut von sich zu geben. Der Agha rollte die Augen; die Träger der confusen Schießinstrumente rollten auch die Augen und bearbeiteten die Schlösser ihrer Vorderlader, aber erst nachdem wir bereits um die nächste Ecke gebogen waren, erklang hier und da ein leises Gekläff, welches uns vermuthen ließ, daß wieder einmal ein Pfropfen aus dem Laufe geschlingert worden sei.
Als wir zu Hause anlangten, saß der Kurde in meinem Zimmer auf meinem Teppich und rauchte aus meiner Pfeife meinen Tabak. Das freute mich, denn es bewies mir, daß unsere Ansichten über Gastlichkeit ganz dieselben seien.
»Kheïr att, hemscher – willkommen, Freund!« begrüßte ich ihn.
»Wie, Du redest kurdisch?« frug er erfreut.
»Ein wenig nur, aber wir wollen es versuchen!«
Ich hatte Halef den Befehl gegeben, für mich und den Gast bei irgend einem Speisewirthe etwas Eßbares aufzutreiben und konnte mich also dem Boten des Bey von Gumri ruhig widmen. Ich steckte mir nun auch eine Pfeife an und ließ mich an seiner Seite nieder.
»Ich habe Dich länger warten lassen, als ich wollte,« begann ich; »ich mußte mit dem Mutesselim essen.«
»Herr, ich habe gern gewartet. Die schöne Jungfrau, welche Deine Wirthin ist, mußte mir eine Pfeife reichen, und dann habe ich mir von Deinem Tabak genommen. Ich hatte Dein Angesicht gesehen und wußte, daß Du mir nicht darüber zürnen würdest.«
»Du bist ein Krieger des Bey von Gumri; was mein ist, das ist auch Dein. Auch muß ich Dir danken für das Vergnügen, welches Du mir bereitet hast, als ich mich bei dem
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