Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Rath gegeben; denn sobald der erste Mann von ihnen unter Euren Waffen gefallen wäre, hätten sie den Bey getödtet. Soll ich vielleicht zurückkehren und dem Bey sagen, daß Ihr sein Leben für nichts achtet?«
»So meinst Du also, daß wir gar nicht angreifen sollen?«
»Das meine ich allerdings.«
»Herr, hältst Du uns für Feiglinge, die nicht einmal den Tod jener Männer rächen, welche gestern gefallen sind?«
»Nein. Ich halte Euch für tapfere Krieger, jedoch aber auch für kluge Männer, welche nicht unnöthiger Weise in den Tod rennen. Ihr kennt den Zab; wer von Euch will hinüberkommen, wenn drüben der Feind liegt und jeden Einzelnen von Euch mit einer Kugel zu empfangen vermag?«
»Daran bist nur Du allein Schuld!«
»Pah! Ich habe damit dem Bey das Leben gerettet. Soll dies umsonst geschehen sein?«
»Du hast nicht ihm, sondern Dir das Leben retten wollen!«
»Du irrst. Ich und meine Gefährten, wir sind Gäste des Melek. Nur der Bey und die Kurden, welche mitergriffen wurden, sind Gefangene. Sie sterben, sobald Ihr die Feindseligkeiten beginnt.«
»Und wenn wir nicht glauben, daß Du der Gast des Melek bist, wie willst Du es uns beweisen?«
»Stände ich hier, wenn ich Gefangener wäre?«
»Er könnte Dich auf Dein Wort entlassen haben. Aus welchem Grunde hat er Dich unter den Schutz seines Hauses genommen? Wer hat Dich ihm, dem Melek von Lizan, empfohlen?«
Ich mußte eine Antwort geben, und ich gestehe offen, daß ich mich schämte, den Namen eines Weibes nennen zu müssen.
»Ich wurde ihm empfohlen zwar nur von einem Weibe, auf dessen Wort er aber sehr viel zu geben scheint.«
»Wie heißt dasselbe?«
»Marah Durimeh.«
Ich hatte gefürchtet, mich lächerlich zu machen, und war daher überrascht von der ganz entgegengesetzten Wirkung, welche dieser Name hervorbrachte. Der Agha machte ein sehr überraschtes Gesicht und meinte:
»Marah Durimeh? Wo hast Du sie getroffen?«
»In Amadijah.«
»Wann?« forschte er weiter.
»Vor wenigen Tagen.«
»Wie bist Du ihr begegnet?«
»Ihre Enkeltochter hatte Gift gegessen, und da ich ein Hekim bin, so wurde ich geholt. Ich traf Marah Durimeh dort und rettete die Kranke.«
»Hast Du der Alten gesagt, daß Du nach Gumri und Lizan gehen würdest?«
»Ja.«
»Hat sie Dich nicht gewarnt?«
»Ja.«
»Und als Du bei Deinem Vorsatze bliebst, was that sie da? Besinne Dich. Vielleicht hat sie Dir ein Wort gesagt, welches ich Dir nicht nennen darf.«
»Sie sagte, wenn ich in Gefahr komme, so solle ich nach dem Ruh ‘i kulyan fragen. Dieser werde mich beschützen.«
Kaum hatte ich dieses Wort genannt, so stand der Sprecher, welcher sich erst mir so feindselig gesinnt gezeigt hatte, vor mir und reichte mir die Hand entgegen.
»Emir, das habe ich nicht gewußt. Verzeihe mir! Wem Marah Durimeh dieses Wort gesagt hat, dem darf kein Leid geschehen. Und nun wird Deine Rede vor unsern Ohren Achtung finden. Wie stark sind die Nasarah?«
»Das werde ich nicht verrathen. Ich bin ebenso ihr Freund wie der Eurige; ich werde auch ihnen nicht sagen, wie stark Ihr gekommen seid.«
»Du bist vorsichtiger, als es nöthig ist. Glaubst Du wirklich, daß sie den Bey tödten werden, wenn wir sie angreifen?«
»Ich bin überzeugt davon.«
»Werden sie ihn freigeben, wenn wir uns zurückziehen?«
»Ich weiß es nicht, aber ich hoffe es. Der Melek wird auf meine Rede hören.«
»Aber es sind Mehrere der Unserigen getödtet worden; sie müssen gerächt werden.«
»Habt Ihr nicht vorher Tausende der Nasarah getödtet?«
»Zehn Kurden gelten höher als tausend Nasarah!«
»Und die Chaldani denken, daß zehn Nasarah höher gelten, als tausend Kurden.«
»Würden sie uns den Blutpreis bezahlen?«
»Ich weiß es nicht, aber ich gestehe Euch offen, daß ich an ihrer Stelle es nicht thun würde.«
»So wirst Du ihnen den Rath geben, es nicht zu thun?«
»Nein, denn ich rede sowohl bei Euch als auch bei ihnen nur das, was zum Frieden dient. Sie haben Wenige von Euch getödtet, Ihr aber Tausende von ihnen; also wären nur sie es, die einen Preis zu fordern hätten. Außerdem haben sie den Bey in ihrer Gewalt, und wenn Ihr ernstlich nachdenkt, so werdet Ihr erkennen, daß sie Euch gegenüber im Vortheile sind.«
»Sind sie sehr kriegerisch gestimmt?«
Eigentlich hätte ich jetzt »Nein« sagen sollen, ich zog es aber vor, eine ausweichende Antwort zu geben:
»Habt Ihr sie gestern vielleicht feig gesehen? Meßt das Blut, welches den Zab hinabgeflossen ist; zählt
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