Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
die Knochen, welche noch heute das Thal des Flusses füllen, aber fragt ja nicht, ob der Zorn der Hinterlassenen groß genug zur Rache ist!«
»Haben sie viele und gute Gewehre?«
»Das werde ich nicht verrathen. Oder soll ich auch ihnen sagen, wie Ihr bewaffnet seid?«
»Haben sie auch ihre Habe auf das andere Ufer gerettet?«
»Nur der Unkluge läßt seine Habe zurück, wenn er sich flüchtet. Die Chaldani haben übrigens so wenig Eigenthum, daß es ihnen nicht schwer fallen kann, es mit sich zu nehmen.«
»Tritt zurück! Wir werden jetzt berathen, nachdem wir Alles gehört haben, was ich wissen wollte.«
Ich folgte diesem Gebote und erhielt dadurch Gelegenheit, Mohammed Emin mit dem bisherigen Inhalte unserer Verhandlung bekannt zu machen. Noch bevor die Kurden zu einem Entschlusse gekommen waren, näherten sich einige ihrer Krieger und brachten einen unbewaffneten Mann herbei.
»Wer ist das?« frug der Agha.
»Dieser Mann,« antwortete Einer, »schlich heimlich in unserer Nähe herum, und als wir ihn ergriffen, sagte er, daß er von dem Melek an diesen Emir abgesandt worden sei.«
Bei den letzten Worten deutete der Sprecher auf mich.
»Was sollst Du bei mir?« frug ich den Chaldani.
Diese Sendung wollte mir verdächtig oder doch wenigstens sehr unvorsichtig erscheinen. Jedenfalls aber gehörte ein ungewöhnlicher Muth dazu, sich unter die feindseligen Kurden zu wagen.
»Herr,« antwortete er, »Du bliebst dem Melek zu lange aus, und so sandte er mich, um Dir zu sagen, daß der Bey getödtet wird, wenn Du nicht sehr schnell zurückkehrst.«
»Seht Ihr, daß ich Euch recht berichtet habe?« wandte ich mich an die Kurden. »Laßt den Mann schleunigst umkehren. Er mag dem Melek sagen, daß mir nichts geschehen ist und daß er mich in kurzer Zeit wieder bei sich sehen wird.«
»Führt ihn fort!« gebot der Agha.
Man gehorchte, und dann wurde die Verhandlung schnell wieder aufgenommen.
Ich mußte mir gestehen, daß das Erscheinen dieses Boten von günstigem Einflusse auf die Entschließungen der Kurden sein werde; dennoch aber kam es mir sonderbar vor, daß dieser Mann abgeschickt worden war. Der Melek hatte sich doch kurz vorher nicht gar so blutdürstig gezeigt, und aus Rücksicht auf mich war die Drohung auch nicht nöthig, da ich als Gastfreund des Bey doch von den Kurden nichts zu fürchten hatte.
Endlich waren die Assiretah zu einem Entschluß gekommen, und ich wurde wieder herbeigerufen. Der Anführer nahm das Wort:
»Herr, Du versprichst uns, bei den Nasarah kein Wort zu sagen, welches zu unserm Schaden ist?«
»Ich verspreche es.«
»So wirst Du jetzt zu ihnen zurückkehren?«
»Ich und mein Freund Mohammed Emin.«
»Warum soll er nicht bei uns bleiben?«
»Ist er ein Gefangener?«
»Nein.«
»So kann er gehen, wohin es ihm beliebt, und er hat beschlossen, an meiner Seite zu bleiben. Was soll ich dem Melek sagen?«
»Daß wir die Freiheit unseres Bey verlangen.«
»Und dann?«
»Dann mag der Bey bestimmen, was geschehen soll.«
Diese Bestimmung konnte einen gefährlichen Hintergedanken haben, darum erkundigte ich mich:
»Wann soll er ausgeliefert werden?«
»Sofort, mit seinen Begleitern.«
»Wohin soll er kommen?«
»Hierher.«
»Ihr werdet nicht weiter vorwärts dringen?«
»Für jetzt nicht.«
»Aber dann wohl, wenn der Bey ausgeliefert worden ist?«
»Es wird dann geschehen, was der Bey bestimmt.«
»Und wenn der Melek ihn erst dann ausliefern will, wenn Ihr friedlich nach Gumri zurückgekehrt seid?«
»Herr, darauf gehen wir nicht ein. Wir ziehen nicht eher von hier fort, als bis wir den Herrscher von Gumri bei uns sehen.«
»Was begehrt Ihr noch?«
»Nichts weiter.«
»Dann hört, was ich Euch noch zu sagen habe. Ehrlich habe ich gegen Euch gehandelt und werde dies auch gegen den Melek thun. Ich werde ihn zu keinem Zugeständniß bereden, welches ihm Schaden bringt. Und vor Allem merkt Euch dies, daß der Bey sofort getödtet wird, wenn Ihr diesen Ort verlaßt, ehe der Friede vollständig geschlossen ist.«
»Willst Du etwa dem Melek zu diesem Mord rathen?«
»Allah behüte mich davor! Aber ich werde auch nicht zugeben, daß Ihr den Bey nur zu dem Zweck zurückerhaltet, daß er Euch dann gegen Lizan führt.«
»Herr, Du redest sehr kühn und aufrichtig!«
»So merkt Ihr wenigstens, daß ich es mit meinen Freunden ehrlich meine. Schicket Euch in Geduld, bis ich wiederkehre!«
Ich stieg auf’s Pferd, Mohammed Emin ebenso. Wir verließen den Platz, und kein
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