Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
mich nahm. Kein Mensch begegnete uns. Nachher ging es seitwärts hin über wildes Gerölle, durch wirres Dorngestrüpp, und ich merkte, daß man auf diese Weise das Dorf Schohrd vermeiden wolle, dessen ärmliche Hütten und Häusertrümmer ich bald unter uns erblickte.
Später bogen wir wieder nach rechts und gelangten in eine wilde Schlucht, welche in das Thal von Raola hinabzuführen schien. Hier kletterten wir eine Strecke weiter, bogen um einige Felsen und gelangten endlich an ein Bauwerk, das einem vier bis fünf Ellen hohen, kubischen Steinhaufen glich und nur eine einzige niedrige Öffnung zeigte, welche zugleich als Thür und als Fenster zu dienen schien.
Vor diesem Steinwürfel stiegen sie ab.
»Madana!« rief der Eine.
Sogleich ließ sich in dem Innern der Hütte ein heiseres Grunzen vernehmen, und einige Augenblicke später trat ein altes Weib aus dem Loch hervor. Madana heißt auf deutsch: ›Petersilie‹. Wie die Alte zu diesem würzigen Namen gekommen war, weiß ich nicht; aber als sie jetzt ganz nahe vor mir stand, duftete sie nicht nur nach Petersilie, sondern es entströmte ihr eine Atmosphäre, welche aus den Gerüchen von Knoblauch, faulen Fischen, todten Ratten, Seifenwasser und verbranntem Hering zusammengesetzt zu sein schien. Hätte mich die Fessel nicht an dem Pferde festgehalten, so wäre ich einige Schritte zurückgewichen. Gekleidet war diese schöne Bewohnerin des Zabthales in einen kurzen Rock, den man bei uns wohl kaum als Scheuerlappen hätte benutzen mögen; der Rand desselben reichte nur wenig bis über die Kniee herab und ließ ein Paar gespenstische Gehwerkzeuge sehen, deren Aussehen vermuthen ließ, daß sie bereits seit langen Jahren nicht mehr gewaschen worden seien.
»Ist Alles bereit?« erkundigte sich der Mann und stellte eine lange Reihe von kurzen Fragen, die alle mit »Ja« beantwortet wurden.
Jetzt wurde ich losgebunden und mit weit niedergebogenem Haupte in die Hütte geschoben. Es gab doch einige Ritzen in der Mauer, durch welche ein Lichtstrahl einzudringen vermochte, und so konnte ich das Innere des Bauwerkes ziemlich genau erkennen. Dasselbe bildete einen kahlen, viereckigen, roh aufgemauerten Raum, in dessen hinterster Ecke man einen starken Pfahl tief und fest in die Erde gerammt hatte. Neben demselben lag ein mäßiger Haufen von Streu und Blätterwerk, und in der Nähe erblickte ich neben einem gefüllten Wassernapfe einen großen Scherben, der früher wohl einmal zu einem Krug gehört hatte, jetzt aber als Schüssel benutzt wurde und eine Masse enthielt, welche halb aus Tischlerleim und halb aus Regenwürmern oder Blutegeln zu bestehen schien.
Zwar hätte ich mich trotz meiner Fesseln doch immerhin einigermaßen zu sträuben vermocht, aber ich ließ es ruhig geschehen, daß ich mit einem starken Strick an den Pfahl gebunden wurde. Dies geschah in der Weise, daß ich auf die Streu zu liegen kam. Meine Arme blieben nach wie vor auf den Achseln befestigt.
Das Weib war draußen vor dem Eingang stehen geblieben. Der eine meiner Begleiter verließ schweigsam die Hütte, der andere jedoch hielt es für nothwendig, mir einige Verhaltungsmaßregeln zu ertheilen.
»Du bist gefangen,« bemerkte er ebenso treffend wie geistreich.
Ich antwortete nicht.
»Du kannst nicht entfliehen,« belehrte er mich in sehr überflüssiger Weise.
Ich antwortete wieder nicht.
»Wir gehen jetzt,« fuhr er fort; »aber dieses Weib wird Dich sehr streng bewachen.«
»So sage ihr wenigstens, daß sie draußen bleiben soll!« bemerkte ich endlich doch.
»Sie muß in der Hütte bleiben,« erwiederte er; »sie darf Dich nicht aus den Augen lassen und soll Dich auch füttern, wenn Du Hunger hast; denn Du kannst Deine Hände nicht gebrauchen.«
»Wo ist das Futter?«
»Hier!«
Er deutete auf den wackern Scherben, dessen Inhalt mir so verführerisch entgegenlachte.
»Was ist es?« erkundigte ich mich.
»Ich weiß es nicht, aber Madana kann kochen, wie keine Zweite im Dorfe.«
»Warum schleppt Ihr mich hierher?«
»Das habe ich Dir nicht zu sagen; Du wirst es von einem Andern erfahren. Mache keinen Versuch, Dich zu befreien, sonst gibt Madana ein Zeichen, und es kommen noch einige Männer, um Dich noch schlimmer zu fesseln.«
Jetzt ging auch er fort. Ich hörte die sich entfernenden Schritte der beiden Männer; dann kam die holde ›Petersilie‹ hereingekrochen und kauerte sich neben dem offenen Eingang in der Weise nieder, daß ich grad vor ihrem Blicke lag.
Es war zwar keine
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