Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
so weiß sie, daß sie heute nacht errettet wird.«
»Aber wie?«
»Hassan el Reïsahn, bist du mit deinem Lecke fertig?«
»Ich werde fertig bis zum Abend.«
»Bist du bereit, uns aufzunehmen und nach Kairo zu bringen?«
»Ja.«
»So hört mich! In das Haus führen zwei Thüren, welche aber von innen verriegelt sind; durch sie können wir nicht eindringen. Aber es giebt noch einen zweiten Weg, wenn er auch schwierig ist. Isla Ben Maflei, kannst du schwimmen?«
»Ja.«
»Gut. Es führt ein Kanal aus dem Nil unter den Mauern hinweg nach einem Bassin, welches in der Mitte des Hofes sich befindet. Kurz nach Mitternacht, wenn alles schläft, treffen wir dort ein, und du dringst durch den Kanal und das Bassin in den Hof. Die Thüre, welche du sofort finden wirst, ist durch einen Riegel verschlossen, der sehr leicht zurückzuschieben ist. Indem du öffnest, kommst du in den Garten, dessen Thüre auf gleiche Weise sich öffnen läßt. Sobald die Thüren offen sind, trete ich ein. Wir holen eine Stange aus dem Garten und lehnen sie an die Mauer, um zu dem Gitter emporzusteigen, hinter welchem die Frauengemächer liegen. Ich habe es bereits von innen geöffnet.«
»Und dann?«
»Was dann geschehen soll, muß sich nach den Umständen richten. Wir fahren mit einem Boote bis an Ort und Stelle, wo unsere erste Arbeit sein muß, das Boot Abrahim-Mamurs zu versenken, so daß er uns nicht verfolgen kann. Unterdessen macht der Reïs seine Dahabïe segelfertig.«
Ich nahm einen Stift zur Hand und zeichnete den Riß des Hauses auf ein Blatt Papier, so daß Isla Ben Maflei vollständig orientiert war, wenn er heute abend aus dem Bassin stieg. Der Tag verging vollends unter den notwendigen Vorbereitungen; der Abend kam, und als es Zeit wurde, rief ich Halef herein und gab ihm die nötigen Weisungen für das bevorstehende Abenteuer.
Halef packte rasch unsere Habseligkeiten zusammen. Die Wohnungsmiete war schon voraus bezahlt.
Ich begab mich zu Hassan, und Halef kam sehr bald mit den Sachen nach. Das Schiff war bereit zur Fahrt und brauchte nur vom Ufer gelöst zu werden. Nach einiger Zeit stellte sich auch Isla mit seinem Diener ein, der von ihm unterrichtet worden war, und nun stiegen wir in das lange, schmale Boot, welches zur Dahabïe gehörte. Die beiden Diener mußten rudern, und ich lenkte das Steuer.
Es war eine jener Nächte, in denen die Natur in so tiefem Vertrauen ruht, als gebe es auf dem ganzen weiten Erdenrunde kein einziges drohendes Element.
Die leisen Lüfte, welche mit dem Schatten der Dämmerung gespielt hatten, waren zur Ruhe gegangen; die Sterne des Südens lächelten freundlich aus dem tiefblauen Dunkel des Himmels herab, und die Wasser des ehrwürdigen Stromes fluteten ruhig und lautlos dahin in ihrer breiten Bahn. Diese Ruhe herrschte auch in meinem Innern, obgleich es schwer scheint, dies zu glauben.
Es war nichts Leichtes, was wir zu vollbringen gedachten, aber man bebt ja vor einem Ereignisse; ist dasselbe jedoch einmal angebahnt oder gar bereits eingetreten, so hat man mit den Chancen abgeschlossen und kann ohne innere Kämpfe handeln. Eine nächtliche Entführung wäre vielleicht gar nicht notwendig gewesen; wir hätten vielmehr Abrahim-Mamur vor Gericht angreifen können. Aber wir wußten ja nicht, wie die Verhältnisse lagen und welche rechtlichen oder unrechtlichen Mittel ihm zu Gebote standen, sein Anrecht auf Senitza geltend zu machen. Nur von ihr erst konnten wir erfahren, was wir wissen mußten, um gegen ihn aufzutreten, und das konnten wir nur dann erfahren, wenn es uns gelang, sie hinter seinem Rücken in unsere Hände zu bekommen.
Nach einer kleinen Stunde hoben sich die dunklen Umrisse des Gebäudes aus ihrer grauen, steinigen Umgebung hervor. Wir legten eine kurze Strecke unterhalb der Mauer an, und ich stieg zunächst ganz allein aus, um zu rekognoscieren. Ich fand in der ganzen Umgebung des Hauses nicht die geringste Spur von Leben, und auch innerhalb der Mauern schien alles in tiefster Ruhe zu liegen. Am Kanale lag das Boot Abrahims mit den Rudern. Ich stieg ein und brachte es neben unsern Kahn.
»Hier ist das Boot,« sagte ich zu den beiden Dienern. »Fahrt es ein wenig abwärts, füllt es mit Steinen und laßt es sinken. Die Ruder aber können wir gebrauchen. Wir nehmen sie in unser Boot herein, welches ihr nachher nicht anhängen laßt, sondern so bereit haltet, daß wir abstoßen können, sobald wir einsteigen. Isla Ben Maflei, folge mir!«
Ich verließ das Boot, und wir
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