Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
war mein kleiner Hadschi Halef Omar. Er machte einen gewaltigen Satz über sämtliche Stufen herab, ganz gegen die orientalische Würde, schnellte sich auf mich zu, ergriff meine Hand und jauchzte:
»Allah l’Allah! Bist Du es? Bist Du es wirklich, Sihdi?«
»Ich bin es, mein lieber Halef. Laß mich nur aus dem Sattel steigen!«
»Du kommst geritten? Du bist außerhalb der Stadt gewesen?«
»Ja. Ich habe viel Unglück gehabt, aber auch viel Glück.«
Auch die Andern streckten ihre Hände nach mir aus. Mitten unter den Freudenrufen ertönte einer des Erstaunens. Isla hatte ihn ausgestoßen.
»Effendi, was ist das?« fragte er. »Wen bringst Du hier? Das ist ja Ali Manach, der Tanzende!«
Man hatte bisher nur auf mich, weniger auf den Derwisch geachtet. Isla’s Rede lenkte die Aufmerksamkeit auf denselben. Man sah, daß er angebunden war.
»Ali Manach? Der Sohn des Entflohenen?« fragte Hulam.
»Ja,« antwortete ich. »Er ist mein Gefangener. Kommt herein! Ich habe Euch zu erzählen.«
Wir begaben uns nach dem Selamlik und nahmen auch den Derwisch mit, hatten uns aber noch nicht gesetzt, als das Thor abermals geöffnet wurde. Es war der Kadi, welcher kam. Er war ebenso erstaunt wie erfreut, mich zu sehen.
»Effendi, Du lebst? Du bist hier?« fragte er. »Allah sei Dank! Wir gaben Dich verloren, obgleich ich nach Dir suchen ließ. Wo bist Du gewesen?«
»Nimm bei uns Platz, so sollst Du es erfahren!«
»Ich werde hören, was Du zu erzählen hast. Wie freue ich mich, daß Dir nichts Böses widerfahren ist! Ich hätte mich vergebens auf den köstlichen Kaffee der Blümlein gefreut gehabt!«
Also das war der Hauptgrund seiner Freude, mich unverletzt wiederzusehen! Der brave, liebenswürdige Kadi!
Der Gefangene hatte sich in einer Ecke niedergekauert, und Halef hatte neben ihm Platz genommen. Der kleine Hadschi wußte, was er zu thun hatte, bevor ich zu sprechen begann.
Ich erzählte und wurde viele, viele Male unterbrochen, ehe ich zu Ende kam. Dann gab es eine Menge von Fragen und Ausrufungen der verschiedensten Art. Halef allein war es, der seine Ruhe bewahrte. Er rief laut:
»Still, Ihr Männer! Man darf jetzt nicht reden, sondern man muß handeln!«
Der Kadi warf dem Kleinen einen Blick zu, welcher zurechtweisend sein sollte, fragte ihn aber doch:
»Was meinst Du denn, was gethan werden soll?«
»Man muß sofort diesen Ali Manach verhören, dann aber das Haus aufsuchen, in welchem man meinen Sihdi überwältigt hat, und auch den Wagen verfolgen lassen, in welchem er nach dem Karaul geschafft werden sollte.«
»Du hast Recht! Ich werde diesen Sohn des Entflohenen sogleich in das Gefängniß bringen lassen und ihn dann vernehmen.«
»Warum nicht hier, nicht jetzt?« fragte ich. »Ich möchte am liebsten noch in dieser Stunde zur Verfolgung seines Vaters aufbrechen, da bereits eine kostbare Zeit vergangen ist. Da ist es gut, vorher zu wissen, was er antwortet.«
»Du wünschest es, und so soll es geschehen!«
Er nahm seine ernsteste, würdevollste Miene an und fragte den Gefangenen:
»Dein Name ist Ali Manach Ben Barud el Amasat?«
»Ja,« antwortete der Gefragte.
»So heißt also Dein Vater Barud el Amasat?«
»Ja.«
»Es ist derjenige Mann, welcher uns entflohen ist?«
»Davon weiß ich nichts!«
»Du versuchst, zu leugnen? Ich werde Dir die Bastonnade geben lassen! Kennst Du den früheren Steuereinnehmer Manach el Barscha?«
»Nein.«
»Du hast gestern abend diesen Effendi in ein Haus locken lassen, um ihn gefangen zu nehmen?«
»Nein.«
»Hund, lüge nicht! Der Effendi hat es ja selbst erzählt!«
»Er irrt.«
»Aber Du hast ihn ja gefesselt und heut in einem Wagen fortgeschafft!«
»Auch das ist nicht wahr! Ich ritt auf der Straße und erreichte den Wagen. Ich sprach mit dem Kiradschi, welchem der Wagen gehörte. Da erhielt ich plötzlich einen Hieb. Ich verlor das Bewußtsein, und als ich wieder zu mir kam, war ich der Gefangene dieses Mannes, dem ich gar nichts gethan habe.«
»Deine Zunge trieft von Unwahrheit; aber die Lüge wird Deine Sache nicht verbessern, sondern verschlimmern! Wir wissen, daß Du ein Nassr bist!«
»Ich weiß nicht, was das ist!«
»Du hast ja im Kloster der Tanzenden mit dem Effendi darüber gesprochen!«
»Ich bin niemals in einem Kloster der Tanzenden gewesen!«
Der Mann glaubte, sich retten zu können, wenn er Alles in Abrede stellte. Der Kadi antwortete zornig:
»Bei Allah! Du wirst die Bastonnade erhalten, wenn Du fortfährst, die Wahrheit
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