Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
wohin er eigentlich gehört, sondern in Dschidda, weil dort der Hafen ist. Sein Gehalt beträgt über eine Million Piaster, aber er weiß sein Einkommen bis auf das Fünffache zu bringen. Ihm muß jeder zahlen, sogar der Schmuggler und der Seeräuber, und darum eben wohnt er in Dschidda. Man sagte mir, daß du Abu-Seïf gesehen hast?«
»Ich habe ihn gesehen.«
»Nun, dieser Räuber ist ein guter Bekannter des Pascha.«
»Nicht möglich!«
»Warum nicht? Was ist vorteilhafter: einen Dieb zu töten, oder ihn leben zu lassen, um eine Rente von ihm zu beziehen? Abu-Seïf ist ein Dscheheïne; ich bin ein Ateïbeh. Diese beiden Stämme leben in Todfeindschaft; dennoch wagte er es, sich an unser Duarzu schleichen und mir meine Tochter zu rauben. Er zwang sie, sein Weib zu sein; aber sie entkam ihm einst und brachte mir ihre Tochter mit zurück. Du hast beide gesehen: mit meiner Tochter bist du angekommen, und die ihrige war soeben hier im Zelte. Seit jener Zeit suche ich ihn, um mit ihm abzurechnen. Einmal habe ich ihn gefunden; das war im Serajdes Statthalters. Dieser schützte den Räuber und ließ ihn entkommen, während ich vor dem Thore auf ihn lauerte. Später einmal sandte mich der Scheik meines Stammes mit diesen Männern hier nach Mekka, um eine Opfergabe nach der Kaaba zu bringen. Wir lagerten nicht weit von der Pforte er Ramah; da sah ich Abu-Seïf mit einigen seiner Leute kommen; er wollte das Heiligtum besuchen. Der Zorn übermannte mich; ich ergriff ihn, trotzdem bei der Kaaba jeder Streit verboten ist. Ich wollte ihn nicht töten, sondern ihn nur zwingen, mir zu folgen, um draußen vor der Stadt mit ihm zu kämpfen. Er wehrte sich, und seine Männer halfen ihm. Es entspann sich ein Kampf, der damit endete, daß die Eunuchen herbeieilten und uns gefangen nahmen, ihm aber und den Seinigen die Freiheit ließen. Zur Strafe wurden uns die heiligen Orte verboten. Unser ganzer Stamm wurde verflucht und mußte uns ausstoßen, um des Fluches wieder ledig zu werden. Nun sind wir geächtet. Aber wir werden uns rächen und diese Gegend verlassen. Du bist ein Gefangener von Abu-Seïf gewesen?«
Zeltdorf.
Palast.
»Ja.«
»Erzähle es!«
Ich gab ihm einen kurzen Bericht über das Abenteuer.
»Weißt du den Ort genau, an welchem sein Schiff verborgen liegt?«
»Ich würde ihn selbst bei Nacht wieder finden.«
»Willst du uns hinführen?«
»Ihr werdet die Dscheheïne töten?«
»Ja.«
»So verbietet mir mein Glaube, euer Führer zu sein.«
»Du darfst dich nicht rächen?«
»Nein, denn unsere Religion gebietet uns, selbst unsere Feinde zu lieben. Nur die Behörde hat das Recht, den Bösen zu bestrafen, und ihr seid keine Richter.«
»Deine Religion ist lieblich; wir aber sind keine Christen und werden den Feind bestrafen, weil er beim Richter Schutz finden würde. Du hast mir den Ort beschrieben, und ich werde das Schiff auch ohne deine Hilfe entdecken. Nur versprich mir, daß du die Dscheheïne nicht warnen willst.«
»Ich werde sie nicht warnen, denn ich habe keine Lust, ihr Gefangener noch einmal zu sein.«
»So sind wir einig. Wann wird Halef nach Mekka gehen?«
»Morgen, wenn du es mir erlaubst, Sihdi,« antwortete der Diener an meiner Stelle.
»Du kannst morgen gehen.«
»So laß ihn gleich bei uns bleiben,« bat der Scheik. »Wir werden ihn so weit an die Stadt begleiten, als wir ihr nahen dürfen, und ihn dir dann zurückbringen.«
Da kam mir ein Gedanke, dem ich sofort Ausdruck gab:
»Darf ich mit euch ziehen und bei euch auf ihn warten?«
Ich bemerkte sofort, daß dieser Wunsch allgemeine Freude erregte.
»Effendi, ich sehe, daß du die Ausgestoßenen nicht verachtest,« antwortete der Scheik. »Du sollst uns willkommen sein! Du bleibst gleich hier bei uns und hilfst uns am Abend die Ewlenmaschließen.«
Verheiratung.
»Das geht nicht. Ich muß zuvor nach Dschidda zurück, um meine Geschäfte abzuschließen. Mein Wirt muß wissen, wo ich mich befinde.«
»So werde ich dich bis vor die Thore der Stadt begleiten. Auch sie darf ich nicht betreten, denn sie ist eine heilige Stadt. Wann willst du reiten?«
»Sogleich, wenn es dir beliebt. Ich brauche nur wenig Zeit, um wieder mit dir zurückzukehren. Soll ich dir einen Kadi oder Mullah mitbringen für den Abschluß der Verheiratung?«
»Wir brauchen weder einen Kadi noch einen Mullah. Ich bin der Scheik meines Lagers, und was vor mir geschieht, hat Kraft und Gültigkeit. Aber ein Pergament oder ein Papier magst du mir bringen, auf
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