Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
ein gespenstisches Phänomen im Dunkel der Nacht, in die Wildnisse der Steppe, dem weiten Schauplatze der stürmenden Jagd. Die afrikanische Gazelle unternimmt Züge, welche diesen Wanderungen ebenbürtig zur Seite stehen, und besonders ist es der Springbock, der in so dichtgedrängten und in Folge des Druckes wehrlosen Schaaren seine weiten Reisen vornimmt, daß die schönen Thiere massenweis mit Prügeln todtgeschlagen werden. Unter den kleineren Landthieren sind es besonders der Flemming und einige Ratten-und Mäusearten, welche oft in gewaltiger Mannhaftigkeit der Wahrheit huldigen: »Wenn Jemand eine Reise thut, so kann er ‘was erzählen;« die großartigsten Züge aber gehen in den Tiefen des Meeres vor sich. Hier genügt es, nur auf den Hering zu deuten, welcher von seiner Wanderlust zu Millionen und aber Millionen in die Netze der Fischer getrieben wird. Auch der riesigste Bewohner, der Wal, unternimmt bedeutende »Stromfahrten«; man hat den Potwal oder Cachelot in Schaaren von 5 bis
600 in
den äquatorialen Gewässern gesehen, und ein solcher Zug gehört zu dem Großartigsten, was das Auge zu sehen vermag. Als ein Beispiel aus der Insectenwelt möge die Wanderheuschrecke erwähnt sein, deren gefräßige Wolken da, wo sie auffallen, einer jeden Vegetation die sicherste Vernichtung bringen.
Die liebenswürdigsten unter all’ den wanderlustigen Geschöpfen sind unsere gefiederten Freunde, deren Scheiden wir stets mit Wehmuth bemerken und deren Kommen stets ein freudiger Gruß entgegentönt. Sie beleben die Zinnen unsrer Thürme, die Giebel und Firsten unserer Häuser, die Bäume und Sträucher unserer Gärten und Wälder und gehören mit solcher Nothwendigkeit in unsere Städte-, Dorf- und Flurenbilder, daß wir sie gar nicht missen können. Der schwatzhafte, liebesselige Staar mit seinen zärtlichen Flötentönen begleitet bei uns das erbliche Amt eines Garteninspectors, die blitzesschnelle Schwalbe producirt sich als Voltigeur und Lufttausendkünstler, der liebe Storch dient sehr geheimen Familienzwecken, sie alle, alle sind uns an das Herz gewachsen und dürfen fest auf die Gastfreundlichkeit des Gebildeten und Naturfreundes rechnen, wenn auch der Gourmand eines eingebildeten Gaumenkitzels wegen die von ihnen empfangenen Wohlthaten mit dem schwärzesten Undanke belohnt und die liebenswürdigen Sänger so rücksichtslos, so ordinär, so profan – verspeist.
Wohl zu unterscheiden von den beiden genannten ist der politische, der echte Gesellschaftstrieb, welcher Stämme und Völker schafft und diese Verbindungen unter Gesetze stellt, nach denen das Ganze als ein wirklicher und geordneter Staat geleitet und regiert wird. Auch hier giebt es Monarchieen und Republiken, wie in der bösen Menschenwelt, wenn es auch die Forschung erst noch entdecken soll, ob sich die öffentliche Meinung auch wie hier in eine gemäßigte und radicale, in eine rechte und linke, in eine conservative und social-demokratische scheidet. Wir finden das menschliche Leben und Treiben in der Welt der Thiere zuweilen so überraschend vorgebildet, daß es gar nicht zu verwundern wäre, wenn die Bienen, Wespen, Ameisen, Termiten, Prairiehunde und Biber auch ihre Bebel’s und Liebknecht’s, ihre Lasker’s und Windhorst’s, ihre Beust’s und Bismarck’s hätten. Wer ein solches Völkchen, z.B. einen Ameisenstaat genau beobachtet, wird Gelegenheit haben, immer neue Merkwürdigkeiten zu entdecken, welche ihn unwillkürlich zu Vergleichen nöthigen. Die mannbare und wehrhafte Ameise gleicht dem alten römischen Bürger, welcher mit dem Schwerdte in der Faust den Beschäftigungen des Friedens nachging und jederzeit bereit war, das Acker- mit dem Schlachtfelde zu vertauschen. Sie führt eine wohleingerichtete Ackerwirthschaft, durch welche sie sich mit den zartesten und wohlschmeckendsten Vegetabilien versorgt und hält sich einen Stall voll der besten Milchkühe, mit deren honigsüßem Ertrage sie sich nach des Tages Last und Hitze erfrischt. Die Blattlaus ist das Melkthier der Ameise; sie wird von ihrer Herrin »eingestellt«, gefüttert, getränkt, gereinigt und gestriegelt und hat für diese sorgsame Pflege nichts weiter zu thun, als jenen süßen Saft auszuschwitzen, welchen die Ameise so vorzüglich schmackhaft findet. Eine nie ruhende Industrie hat in jedem solchen Baue, der von Außen ein bloßer Schmutzhaufen zu sein scheint, ihre Stätte aufgeschlagen und wird unterstützt durch eine bis in das Kleinste gehende Ordnung, welche
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