Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
nicht zu bezweifeln sind, wenn man an die Intimität denkt, in der er zu allen Geschöpfen steht, ihre Sprache kennt und ihnen alle möglichen Geheimnisse ablauscht. Während der prosaische Mensch das Pferd nur wiehern, die Ziege nur meckern und die Katze nur miauen hört, vermag der Dichter all diese Töne in echtes, richtiges Hochdeutsch zu übersetzen und weiß Wort für Wort und Sylbe für Sylbe, was gewiehert, gemeckert und miaut worden ist. Glücklicher Weise leidet er nicht an dem Fehler der Verschwiegenheit, und so erfahren auch andre Menschenkinder die ihnen sonst verborgenen Heimlichkeiten:
»Der Hahn singt schon in aller Früh
Der Henne vor sein Kikriki;
Sogar der dumme Gimpel schreit
Von Liebesgram und Liebesleid.«
Besonders sind es die zartstimmigen, gefiederten Wesen, denen die Töne seiner Leier erklingen. Er weist ihnen im heiligen Reiche der Liebe die verantwortungsvolle Stellung als Briefträger an:
»O bitt Euch, liebe Vögelein,
Will keines von Euch mein Bote sein?«
läßt sie vor dem Auge des Liebchens als nachzuahmendes Beispiel leuchten:
»Zieht im Herbst die Lerche fort;
Singt sie leis ›ade!‹
Sag mir noch ein liebend Wort,
Eh’ ich von Dir geh!«
und stirbt zuletzt gar mit ihnen im Schooße der Holden, welche ihm die Erhörung verweigert:
»Schießt mich ein Jäger todt,
Fall ich in Deinen Schooß;
Siehst Du mich traurig an,
Gern sterb’ ich dann!«
Hat er auf diese Weise sein Herz von der Last der Seufzer befreit, so kann er sich den Ansprüchen des materiellen Lebens nicht länger entziehen; auch die Muse muß essen und trinken, wenn sie bei Kräften bleiben will, und dann treibt sie der Appetit sogar in die Nähe jenes Wesens, welches den Juden ein Aergerniß und den Muselmännern ein Gräuel ist:
»Heil Dir, geborstetes,
Ewig geworstetes,
Dutzend geborenes,
Niemals geschorenes,
Köstliches Schwein.
Heil, Heil und dreifach Heil
Dem Schwein und seinem Hintertheil!«
Am besten versteht es der Fabeldichter, mit der Thierwelt zu verkehren und diesen Verkehr besonders für die Jugend fruchtbringend zu gestalten. Auch der Componist ist zuweilen gemüthvoll genug, das geistreiche
»Der Kukuk und der Esel, die hatten ein Streit,
Wer wohl am besten sänge zur schönen Maienzeit.«
in Musik zu setzen, und manches in der Jugend gerngesungene Lied klingt, wie das alte, liebgewordene
»Weißt Du, wie viel Mücklein spielen«
bis in das späte Alter hinüber und hat seinen Einfluß auf die religiösen und sittlichen Ansichten eines mühevollen und prüfungsreichen Menschenlebens unbestritten ausgeübt. Die poetische Anschauung dringt nach und nach in das gewöhnliche Leben ein, beseitigt das Vorurtheil und mildert die Strenge. Sie hebt das Characteristische, das Beachtenswerthe hervor und erwirbt dem Thiere die menschliche Theilnahme und Dankbarkeit, wo es diese sonst vielleicht nicht gefunden hätte.
»Wer hat, wenn ich auf Gottes Welt
Allein mich fand, zu mir sich gesellt,
Wer hat mich geliebt, wenn ich mich gehärmt,
Wer, wenn ich fror, hat mich gewärmt,
Wer hat mit mir, wenn ich hungrig gemurrt,
Getrost gehungert und nicht geknurrt?«
rühmt Chamisso die Tugenden seines Hundes, und vergleicht man mit diesem Bilde den Character des Wolfes, des Fuchses, der Hyäne, die doch dem Hunde verwandt sind, so erkennt man den Einfluß des Menschen auf die in seiner Gesellschaft lebenden Thiere erst in seiner vollsten Stärke und Bedeutung.
Wenn die Bibel sagt, daß sich auch die leblose Creatur nach Erlösung sehne, so darf man dabei nicht an eine Himmelfahrt der Thiere denken, sondern dieses Wort will nur auf den Einfluß hinweisen, welchen der aus den Banden der Finsterniß befreite Menschengeist auf die Verbesserung aller irdischen Verhältnisse und also auch auf die Erscheinungen der verschiedenen Naturreiche auszuüben vermag und auch wirklich ausübt. Die Entwickelung des Menschen zieht alle unsre Daseinsformen in ihren Bereich, baut Stufe um Stufe dem großen Ziele der Vervollkommnung entgegen und führt mit Nothwendigkeit zur allmähligen Erfüllung des alten, biedern Wunsches, daß es
»Hier auf unsrer Erden
Mit Allem möge besser werden!«
6.
Strom und Straße
»Ein friedlich Regiment und eine freie Bahn
Für Alles, was der Mensch gebraucht und schafft,
Das ist es, was der Völker Wohlfahrt gründet.«
Als der Herr der Schöpfung dem Menschen jenen herrlichen Garten
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