Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
hoffnungsvollen Sprößlinge in Reih und Glied und wandert in pleno seines Weges fürbaß, bis ihm zwischen in natürlicher Unbefangenheit sich präsentirenden Bauergütern der vielgeprüfte Thurm einer alten Dorfkirche entgegenblickt. Hier wird, mag es nun zur Zeit der »Boombluth,« der Rettigsbirnen oder des »grauen Mostes« sein, die Amtsmiene und städtische Ehrwürdigkeit auf einige Stunden in Ruhestand versetzt; das Schild über der Thür des Wirthshauses ist zwar seit dreißig Jahren nicht mehr ganz genau zu buchstabiren, aber man weiß aus Erfahrung, was es zu bedeuten hat; es findet sich diese und jene edle Seele, diese und jene redselige Gevatterschaft zusammen oder es treffen sich ganz unvermuthet ein paar sehr nahe Verwandte – »aus sieben Ranzen eine Haare« – die sich seid Olims Zeiten nicht mehr gesehen oder einander früher gar nicht gekannt haben, und da man mit dem festen Vorsatze gekommen ist, sich unter allen Umständen ein Vergnügen zu machen, so ist der Spaß bald an allen Ecken und Enden los, man findet Alles gut und vortrefflich, und wenn auch auf dem Rückwege der eingedrückte Hut dem Herrn Gemahl etwas im Genicke sitzt, die Frau Gemahlin nicht mehr ganz genau weiß, ob sie ihn oder er sie führt, und die liebenswürdigen Kleinen in allen Dur- und Molltonarten lachen, singen, pfeifen oder nach dem Bette weinen, man ist doch auf dem Lande gewesen, und die Partie war wirklich köstlich, gottvoll heute!
Ebenso freut sich der Bewohner des Landes schon lange Zeit vorher auf den Tag, an welchem er mit den Seinen »zur Stadt« geht. Besonders sind es die Jahrmärkte und Vogelschießen, welche magnetisch wirken. Der beste »Staat« wird hervorgesucht; in der Tasche klimpern die wohlgeputzten Thaler, und auf allen Wegen sind behäbige Gestalten zu sehen, die im süßen Gefühle, daß die Kartoffeln gut gerathen werden und der Hafer aufgeschlagen ist, im Vollbewußtsein ihrer ein-, zwei-, drei- und vierspännerlichen Bedeutung gemessenen Schrittes aus allen Richtungen herbeiwallfahrten. Und wenn nach all’ den ausgestandenen Rippenstößen und Fußtritten der Heimweg angetreten wird, so ist man glücklich, sich einmal gründlich umgesehen und dem Städter gezeigt zu haben, daß »hinter dem Berge auch noch Leute wohnen.«
Während auf diese Weise ein kleines Landstädtchen für seine Umwohner den Inbegriff alles Schönen und Wünschenswerthen, den Mittelpunkt alles geschäftlichen und gesellschaftlichen Verkehres bilden kann, giebt es unzählige wanderlustige Seelen, die bei dem Beginne des Sommers ihre Schwingen rüsten, um hinauszufliegen in die schöne, weite Gotteswelt, ein Fleckchen Erde nach dem andern zu durchstreichen und Land und Leute recht gründlich kennen zu lernen. Da giebt es denn bestimmte Land- und Ortschaften, welche sich der Gunst dieser ruhelosen Wandervögel ganz besonders erfreuen und sich deshalb mit jedem neuen Jahre auf neuen, zahlreichen Besuch einrichten. Da sind es Residenzen oder sonst bedeutendere Städte, Badeorte, Inseln oder ganze Gegenden, welche in Folge ihrer Naturschönheiten oder der in ihnen angesammelten Kunstschätze sich eines vortheilhaften Rufes erfreuen und den Sammelpunkt der Fußreisenden und Passagiere erster, zweiter, dritter und vierter Wagenclasse bilden.
Kein Wunder, wenn die Bewohner solcher Länder, Gegenden oder Städte mit Stolz von ihrer Heimath sprechen und mit anhänglicher Liebe ihr zugethan sind! »Das heilige Reich der Mitte« nennt der Chinese sein Land, als ob die anderen Länder als werthlose Anhängsel sich nur so um dasselbe gruppirten, und wenn er zu noch so vielen Tausenden nach dem fernen Amerika auswandert, um dort einem spärlichen und genügsamen Erwerbe nachzugehen, er bleibt doch ein treuer Sohn der heimathlichen Erde und sorgt mit Aufbietung aller Kräfte dafür, daß wenigstens seine Leiche in derselben zur Ruhe bestattet werde. » La belle france, « das schöne Frankreich, nennt der Franzose sein Vaterland und vergleicht es mit diesem Ausdrucke einer Schönen, mit welcher keine Andre zu vergleichen ist und der er Treue geschworen hat bis in den Tod. »Ich hab’ mich ergeben mit Herz und mit Hand,« singt mit eben solcher Treue der Deutsche; »nach Sevilla, nach Sevilla!« ruft der Spanier; »Wangenglanz des Weltenangesichtes, o Istambul!« redet der Türke sein Constantinopel an; »Cahira, die Unvergleichliche,« nennt der Eypter sein Cairo; »die Königin des Meeres« hieß das stolze Venedig bei seinen
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