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Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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stürzen. Ist nun das Leben einer Stadt so verschieden von demjenigen auf dem Lande, so müssen auch die von ihm bewirkten Eindrücke mehr oder weniger ungleiche sein, und diese Ungleichheit wird sich im ganzen Wesen der Bewohnerschaft aussprechen.
    Die Mannigfaltigkeit der Bilder, wie sie das Stadtleben zeigt, bewirkt größere Erfahrung; die Schnelligkeit, mit welcher diese Bilder einander folgen und ablösen, schärft den Blick und führt zur Geistesgegenwart. Ein zehnjähriger Berliner Schusterjunge hat bedeutend mehr gesehen, als ein neunzigjähriger Greis, welcher nicht aus Kuhschnappel oder Lämmershausen hinausgekommen ist, und wie sich die Erfahrungen häufen, so auch die Hindernisse, an denen sich der Muth, das Selbstvertrauen und die Unternehmungslust stählt.
    Wie die Scenerie der Stadt eine lebhaftere ist als diejenige des Dorfes, so ist auch der Bewohner der ersteren körperlich und geistig beweglicher als der Dörfler. Auf dem Lande liegen die Besitzungen auseinander und bilden meist ein für sich abgeschlossenes, durch Raine, Zäune und Hecken wohlverwahrtes Ganze; so schließt sich der Bauer gern nach Außen ab und lebt innerhalb seiner vier Pfähle als Alleinbeherrscher eines Reiches, in dessen Angelegenheit kein Anderer etwas zu sprechen hat.
    Anders ist es in der Stadt. Da schmiegt sich ein Haus eng an das andere; es bilden sich Gassen, Straßen und Plätze; der Raum wird kostbar, und der Einzelne muß mit den Anderen zusammenrücken, obgleich das Ganze wächst und sich immer weiter ausbreitet. Die Menschen werden einander nahe gebracht, berühren sich in ihren Gesinnungen und Verhältnissen und eignen sich dadurch jene Abrundung an, welche so vortheilhaft gegen das eckige, scharfe Wesen des Ländlers absticht.
    Die Beweglichkeit, welche eine nothwendige Folge dieser Abrundung ist, macht den Städter geschickt, sich in die Verhältnisse zu fügen, von den Schlägen des Schicksals sich schnell zu erholen und ertheilt ihm eine Elasticität des Geistes, welche Alles in ihren Bereich zu ziehen sucht und vor nichts Schwierigem zurückbebt, sobald es überhaupt durch Menschenkraft erlangt oder ausgeführt zu werden vermag. Das bereits Gewonnene und Eroberte wirft er leicht hinter sich und schreitet gern von einem Ziele zum andern.
    Freilich hat diese Beweglichkeit auch ihre Gefahren. »Andre Städtchen, andre Mädchen« sagt ein altes Sprüchwort und bezeichnet jene Unbeständigkeit, der man in den Straßen der Städte weit öfterer begegnet als auf den Wegen des Dorfes. Während wir den Bewohner des Letzteren conservativ nannten, fügt sich der Bewohner der Stadt leichter in einen Wechsel der Verhältnisse und ist ebenso leicht zu einer anderen Ansicht und Meinung zu bestimmen. Politische Aenderungen, Umgestaltungen, Revolutionen etc. sind wohl kaum jemals vom platten Lande ausgegangen, sondern die eigentlichen Herde solcher Umwälzungen waren fast immer jene großen, reichbevölkerten Städte, in denen sich die Meinungen begegnen, reiben und, eine von der andern getragen und gehoben, zu Gewalten anwachsen, denen sich selbst die geheiligtsten Einrichtungen unterwerfen müssen.
    Da es vorzugsweise die Städte sind, in denen die Cultur des Geistes ihre Wohn- und Werkstätten sich errichtet, so treten hier auch alle diejenigen Mißstände, welche eine leider unvermeidliche Folge unserer Civilisation sind, am ersten und augenfälligsten hervor. Die »Barbarei der Gesittung,« wie man jene Mißstände genannt hat, macht sich am liebsten da geltend, wo bei dem Zusammenleben vieler Menschen das Geschick des Einzelnen der allgemeinen Beachtung entgeht oder den Interessen der Gesammtheit zum Opfer fallen muß. Hier liegen auch die verborgenen Winkel und Höhlen, aus welchen die sittliche Corruption, das Laster und Verbrechen sich auf seine Opfer stürzt oder, unter Puder und Schminke verborgen, seine Netze auswirft, um den Leichtsinnigen und Unerfahrenen in scheinbar süße, aber verderbenbringende Bande zu schlagen. –
    Stadt und Land. Es liegt ein Gegensatz in diesen beiden Worten, und wie die Gegensätze sich gewöhnlich anzuziehen pflegen, so findet auch hier eine beiderseitige Anziehung statt, welche man fast täglich beobachten kann.
    Wenn der Rauch und Staub der Straßen, das Geräusch und Gewühle des Verkehres dem Städter einmal zu lästig wird, dann greift er nach Parapluie und Ueberzieher, hängt seiner schönern Hälfte die schwarzseidene Mantille über den Arm, stellt die Schaar seiner

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