Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Welt? Wird diese Frage, welche die tiefsten Forscher aller Zeiten so lebhaft und anhaltend beschäftigt hat, mit einem Schlage zu beantworten sein?
Wohl nicht. – Gott tritt nicht persönlich und sicht bar vor uns hin; die Sagen von dem Erscheinen Gottes unter den Menschenkindern sind verklungen, und die Erkenntniß Gottes ist jetzt nur auf demjenigen Wege ermöglicht, welchen die Wissenschaft einschlägt, welche sich in die Betrachtung der Natur versenkt, um von dem Geschöpfe auf den Schöpfer zu schließen. Sie geht nicht sprungweise, vermeidet alle Unklarheiten und Hypothesen und schreitet vielmehr Schritt für Schritt an dem sicheren Ariadnefaden ihrer überwindenden Logik durch das Labyrinth der Ansichten und Meinungen zur Erkenntniß vorwärts und versucht auf diese Weise den Schleier zu lüften, um, zum Entsetzen der Finsterlinge, die Wahrheit in ihrem Strahlenglanze endlich zu erkennen und der Mit- und Nachwelt zum wohlerworbenen und unantastbaren Eigenthume zu machen.
Und auf diesem Wege ist eine Sonne, welche ihre warmen und belebenden, ihre erleuchtenden Strahlen über alles Große und Kleine wirft, mit ihnen den Weltenraum erhellt und den kleinsten Winkel vom Dunkel befreit – die Liebe. Sie thront droben über rollenden Welten und waltet in den Tiefen, welche noch keines Menschen Fuß betrat; sie bewegt die Sphären und regiert das Zucken der Mimose; sie lacht vom heiteren Himmel und umarmt die Erde mit nächtlichem Dunkel; sie leitet den Fuß des Forschers und hält die Hand des Irrenden. Ehe etwas war, war sie; was ist, das ist durch sie geworden; alles Geschehende geschieht durch ihren Willen und nach ihren Gesetzen; wer im Staube nach Atomen sucht, der findet sie, und wer die Unendlichkeit, die Ewigkeit durchforscht nach Gott, der findet sie, denn sie ist – Gott.
Ja, Gott ist die Liebe, und wo Liebe ist, da ist sie nicht eine Eigenschaft Gottes oder irgend eines erschaffenen Wesens, sondern sie ist Gott selbst.
Die Liebe ist das einzig Gewesene vor dem Erschaffenen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Aber sie konnte nicht sie selbst bleiben; sie mußte aus sich heraustreten und in Kräften thätig sein, welche ursprünglich zu ihrem Wesen gehören, welche auch nichts anderes sind als Liebe, aber in ihrer Wirkung sich mit Farben bekleiden, welche für den Denker nur das Wesen der Liebe illustriren, während sie für den nicht geistig thätigen Menschen von der Liebe mehr oder weniger abweichende Kräfte, ja vielleicht gar ihr polares Gegentheil zu sein scheinen.
Auch die Finsterniß ist Licht, denn es giebt keine absolute Finsterniß, sondern da, wo unser Auge im Dunkel der Nacht oder des abgeschlossenen Raumes nichts mehr wahrzunehmen vermag, da sendet die Quelle des Lichtes immer noch die feinsten ihrer Strahlen und Millionen von mikroskopischen Wesen erquicken sich an ihnen. So auch die Liebe. Sie ist da, selbst wo wir sie nicht suchen und finden, und wenn scheinbar die Zerstörung, die Vernichtung, der Untergang in dem Weltenraume wüthen, ist es nicht ein göttlicher Zorn oder eine strafende Gerechtigkeit, welche die Himmelskörper zerstückelt, sondern die schaffende Liebe, welche aus dem Veralteten, nun Zwecklosen, neue, junge, lebengebährende Welten bereitet.
Heben wir zunächst den Blick empor in das All, um sie zu suchen und in ihrem großen, ewigen und allmächtigen Walten zu erkennen!
Liebe und Universum
Wenn die Nacht mit begeisternder Herrlichkeit emporsteigt und sie den Schleier von Sonnenstrahlen hinwegzieht am Firmamente; wenn wunderbar aus ewigen Fernen, aus den Tiefen des Weltenalls Tausende neue Sonnen, neue Erden schimmern: dann erhebt sich unser entzückter Blick nicht zur stillen Pracht der Gestirne, ohne Seiner Hoheit, Größe und Macht zu gedenken, Seiner, in dessen Lichte unermeßliche Welten wie geringe Sonnenstäubchen spielen und dessen Schöpfungen keine Schranken kennen.
Jene Gestirne predigen Seine Majestät herrlicher, als es der Geist eines Sterblichen vermag. Jene Gestirne, die aus dem ewigen All uns anstrahlen, sind heilige Offenbarungen von oben her, sind Propheten der Ewigkeit, die uns anrufen, sind Weissagungen von dem unbekannten Jenseits, das unserer wartet.
Vielleicht haben wir schon, unbewußt, den Blick in das Geheimniß der Ewigkeit geworfen. Vielleicht sehen wir schon Strahlen einer Welt – dereinst unsrer Welt – in der verklärt und veredelt die Geister unserer Geliebten mit überirdischem Entzücken wallen. Sehnen sie sich nach dieser
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