Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
das Paket Briefe, welches ich schon in der Hand hielt, wieder weglegen, denn es enthält – honny soit qui mal y pense – Heiratsanträge, meist ohne Vorwissen der betreffenden Dame von Verwandten oder Vormündern an mich gerichtet.
Ein sehr, sehr wißbegieriger Backfisch in Aachen hat mich auch gefragt, ob ich eine Jugendliebe gehabt habe. O ja, eine recht glühende sogar, nämlich meine gute Großmama. Für sie hat mein ganzes kleines Herz geschlagen und ich bin so eifersüchtig auf sie gewesen wie – wie, nun, wie eben der sechsjährige, blinde Young Shatterhand auf seine Großmama!
Eine weitere Art von Briefen, für welche ich hier an dieser Stelle herzlichen Dank sage, denn die Absender sind durchweg Abonnenten unsers lieben »Hausschatzes«, enthält Einladungen, denen ich leider aus Mangel an Zeit bisher nicht Folge leisten konnte.
Die Kunde von meiner mehrmaligen schweren Erkrankung hatte zur Folge, daß mir von Angehörigen der verschiedensten Stände die umfassendste Gastfreundschaft angeboten worden ist, um mich fern von dem nervösen Jagen und Hasten der Welt in ungestörter Ruhe erholen zu können. Ich konnte wählen zwischen den Pußten Ungarns, dem grünen Steiermark, dem herrlichen Achensee, den Schweizer Alpen, dem sonnigen Rheine und dem stillen Nordseestrande.
Sogar aus der Lüneburger Heide schrieb mir ein einfacher Bauersmann: »Ich kann Ihnen kein Schloß und keinen Palast bieten, aber kommen Sie dennoch! Sie finden, was Sie brauchen, die tiefste Einsamkeit. Und wollen Sie mit jemand verkehren, so wohnen hier Leute, deren Herzen Sie gewonnen haben. Also kommen Sie; versuchen Sie es wenigstens einmal!«
Wenn ich vorhin gesagt habe, daß ich an einer Oper arbeite, so will ich jetzt noch eine zweite Indiskretion begehen, indem ich verrate, daß ich die Absicht habe, Winnetou auf die Bühne zu bringen. Eine gewagte Idee? O nein! Der Farbe wegen? Hat nicht Shakspeare seinen Othello geschrieben, der ein vollständig schwarzer Mensch gewesen ist? Wie? Ich sei noch lange kein Shakspeare? Gewiß; das weiß ich wohl; aber dafür ist mein Winnetou auch viel heller als sein Mohr! Und wer Winnetou kennt, der gibt mir sicher recht, daß es keine edlere und ergreifendere Bühnengestalt geben kann, als diesen hochragenden Häuptling der Apatschen, der ganz desselben tragischen Todes sterben mußte, welchem seine untergehende Nation verfallen ist. Mir klingt noch heute das Ave Maria in den Ohren, bei dessen Klängen er in meinen Armen die Augen schloß. Es waren da nur die erste und die letzte Strophe angegeben, und ich bin so oft von Abonnenten unsers Lieblingsblattes angegangen worden, das Fehlende gelegentlich zu ergänzen, daß ich glaube, mich heute am besten von ihnen zu verabschieden, indem ich diesen Wunsch erfülle:
»Es will das Licht des Tages scheiden;
Nun bricht die stille Nacht herein.
Ach, könnte doch des Herzens Leiden
So, wie der Tag vergangen sein!
Ich leg’ mein Flehen dir zu Füßen;
O, trag’s empor zu Gottes Thron,
Und laß, Madonna, laß dich grüßen
Mit des Gebetes frommem Ton:
Ave, ave Maria!
Es will das Licht des Glaubens scheiden;
Nun bricht des Zweifels Nacht herein.
Das Gottvertrau’n der Jugendzeiten,
Es soll mir abgestohlen sein.
Erhalt’, Madonna, mir im Alter
Der Kindheit frohe Zuversicht;
Schütz’ meine Harfe, meinen Psalter;
Du bist mein Heil, du bist mein Licht!
Ave, ave Maria!
Es will das Licht des Lebens scheiden;
Nun bricht des Todes Nacht herein.
Die Seele will die Schwingen breiten;
Es muß, es muß gestorben sein.
Madonna, ach, in deine Hände
Leg’ ich mein letztes, heißes Fleh’n:
Erbitte mir ein gläubig Ende
Und dann ein selig Aufersteh’n!
Ave, ave Maria!«
MEIN LEBEN UND STREB EN
Mays Autobiographie Mein Leben und Streben. Band I wurde Ende des Jahres 1910 herausgegeben. Die erste Auflage bestand aus nur 500 Exemplaren. Aufgrund eines Rechtsstreits wurde das Werk nur wenige Wochen nach der Auslieferung aus dem Handel genommen und sollte vernichtet werden. Da heute viele der Erstausgaben im deutschsprachigen Ausland zu finden sind nimmt man an, dass sie nach dort verkauft wurden. Erst nach Mays Tod im März 1912 wurde das Buch bearbeitet und neu aufgelegt. Ein Band II ist nie erschienen.
In dieser Selbstbekenntnis schildert May u.a. seine Blindheit als Kind, die inneren Stimmen, die ihn quälten, das Schreiben als Lebenselexier sowie diverse Gerichtsprozesse, die ihm angehängt
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