Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
machen gar keine Umstände mit mir; sie bitten nicht, sondern sie fordern einfach meine Photographie. Sie glauben, durch die Anschaffung meiner Werke oder auch nur dadurch, daß sie sie aus der Leihbibliothek entnehmen, ein gutes Recht auf die unentgeltliche Übersendung meines Bildes erworben zu haben. Ich schreibe hier die Anfangszeilen eines Briefes ab:
»Herr Doktor May, Old Shatterhand! Ich habe alle Ihre Werke geborgt bekommen und gelesen. Ich mag gar nichts anderes mehr lesen, auch meine Freunde nicht; darum senden Sie mir unverzüglich Ihre Photographie, und schreiben Sie mir Ihren Namen darauf, daß ich auch Ihre Handschrift mit habe!«
Dieses Schreiben eines wohlhabenden Bäckermeisters kostet mich 20 Pfennige Strafporto; die Erfüllung seines Wunsches oder vielmehr Befehles würde mich 3 Mark 40 Pfennige und einen Brief kosten. Und dabei hat er meine Bücher nicht gekauft, sondern geborgt! In dieser und ähnlicher Weise bin ich im vorigen Jahre über 900mal um mein Bild angegangen worden; im laufenden Jahre wird die Zahl der Begehrenden eine noch größere. Das ergibt Tausende von Mark, welche meine Leser in aller Unbefangenheit von mir verlangen. Daß der Photograph Adolf Nunwarz in Linz-Urfahr Bilder von Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi verkauft, ändert nichts; man will sie umsonst von mir haben.
Ganz ebenso ist es mit den Büchern. Ich habe im vorigen Jahre ca. 800 Bände verschenkt, damit aber nicht die Hälfte der Bittsteller befriedigt. Da meine Freiexemplare nicht entfernt dazu ausreichten, habe ich den größten Teil dieser Bücher selbst kaufen müssen. Und Dank? Die Bittschreiben erhalte ich, ja; schicke ich dann die Bücher, so kann ich darauf rechnen, daß fünfzig Prozent der Befriedigten nichts von sich hören lassen.
Aber weiter! Wenn ich nur um Bilder und Bücher angegangen würde, so wollte ich gern schweigen. Ich greife in die Mappe und ziehe ohne Wahl aus der Abteilung der Bittsteller einige Briefe heraus.
»– – Wie gesagt, es genügen zu dieser Vergrößerung meines Geschäftes 3000 Mark, die bei Ihnen nichts ausmachen, mich aber, Ihren größten Verehrer und Bewunderer glücklich machen würden, falls ich sie noch im Laufe dieser Woche bekäme.« – – »Wir verlangen gar keine Kirche; nur eine Kapelle sollen Sie uns bauen, höchstens für 10–15000 Mark; die Gemeinde ist zu arm dazu.« – – »Zu diesem frommen Bau erübrigen nur noch 30000 Mark, die Sie uns sicher zur Verfügung stellen werden. Sollten Sie nicht in der Lage sein, es flüssig machen zu können, so genügt nur ein Wort an Ihre steinreichen Freunde, und Lord Lindsay oder Sir John Raffley wird Ihnen die Summe gern gewähren.« – – »Da ich weder Verwandte noch Freunde habe, so sind Sie der einzige, an den ich mich in dieser traurigen, leider selbstverschuldeten Lage wenden kann. Kommen die 1100 Mark nicht bis Montag in die Kasse zurück, muß ich mich erschießen!« – – »Also bitte, verehrtester Herr Doktor, haben Sie die Güte, Ihren Namen quer auf das beifolgende Wechselformular zu schreiben! Die 950 Mark werden am Fälligkeitstage sicher von mir eingelöst!« – – »Da wir aber nicht die Mittel besitzen, ihn auf das Gymnasium zu thun, bin ich mit meiner Frau übereingekommen, Ihnen folgenden Vorschlag zu machen: Sie nehmen unsern Franz ganz zu sich, in Logis, Kost, Wäsche und Kleidung, geben ihm Unterricht in allem, was man auf dem Gymnasium lernt, ganz besonders aber in allen Sprachen, die Sie selbst können, und wenn er dann nach vier Jahren neunzehn Jahre alt geworden ist, dürfen Sie ihn dafür drei Jahre lang als Ihren Begleiter umsonst mit auf Reisen nehmen.« – – »Sie ist das schönste Mädchen der Stadt, will aber nach auswärts heiraten, womöglich weit weg. Da wären nun Sie bei Ihrer großen Bekanntschaft der richtige Mann, mir einen passenden Bräutigam vorzuschlagen, von dessen Vermögen Sie gewiß fünf und auch noch mehr Prozent erhalten werden.« – – »Da mir die Mittel fehlen, verkaufe ich Ihnen das ganze Unternehmen. Jeder Erzbischof und Bischof Deutschlands muß uns eine Predigt gratis liefern; auf diese Weise bekommen wir für jeden Sonn-und Feiertag des Jahres eine Predigt umsonst; Sie lassen diese Predigten drucken, die natürlich von aller Welt gekauft werden, weil sie die höchsten geistlichen Würdenträger zu Verfassern haben, und nach Verlauf schon eines Jahres sind Sie ein steinreicher Mann.«
In dieser Weise könnte ich noch stunden-, ja tagelang
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