Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Tolles hörte, schien ihm außerordentlich passend für seine Kolportage. Er suchte meinen Vater auf und machte sich vertraut mit ihm. So kamen ihm meine Manuskripte in die Hand. Er las sie. Einiges war ihm zu hoch. Anderes aber gefiel ihm so, daß es ihn, wie er sagte, entzückte. Er bat, es drucken zu dürfen, und bekam die Erlaubnis dazu. Er wollte sofort bezahlen und legte das Geld auf den Tisch. Vater aber nahm es nicht. Er schob es zurück und forderte ihn auf, es mir persönlich zu geben, wenn ich entlassen sei. Hierauf ging Münchmeyer sehr gern ein. Er versicherte, ich sei der Mann, den er gebrauchen könne; er werde mich nach meiner Heimkehr aufsuchen und alles Nähere mit mir besprechen.
Dies erzähle und stelle ich für einstweilen fest. Es ist für manches Folgende von großer Wichtigkeit, zu wissen, daß Münchmeyer nicht nur meine Vergangenheit, wie sie in Wahrheit verlief, genau kannte, sondern auch Alles gehört hatte, was hinzugelogen worden war.
Was meinen seelischen Zustand betrifft, so hatte ich Ruhe, vollständige Ruhe. In den ersten vier Wochen der letzten vier Jahre war es noch vorgekommen, daß die dunkeln Gestalten mich innerlich gequält und mit Zurufen belästigt hatten; das hatte aber nach und nach aufgehört und war schließlich still geworden, ohne sich wieder zu regen. Wenn ich hierüber nachdachte, ohne auf psychologische Abwege zu geraten, so kam ich zu der Einsicht, daß diese Gebilde nur so lange Einfluß besitzen, wie man in den betreffenden Anschauungen steckt. Hat man aber die letzteren überwunden, dann müssen die Schreckbilder schwinden. Und dies schien das Richtige zu sein; der Katechet war derselben Meinung. Ich hatte ihm von meinen inneren Anfechtungen nichts erzählt, wie ich in rein persönlichen und familiären Dingen überhaupt nie einen Menschen zu meinem Vertrauten mache. Aber zuweilen fiel doch ein Wort, welches nicht andeuten sollte, aber doch andeutete. Er wurde aufmerksam. Einmal kam ich im Verlauf des Gespräches darauf, von meinen dunkeln Gestalten und ihren quälenden Stimmen zu sprechen; aber ich tat so, als ob ich von einem Andern spräche, nicht von mir selbst. Da lächelte er. Er wußte gar wohl, wen ich meinte. Am nächsten Tage brachte er mir ein kleines Buch, dessen Titel lautete: »Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt.« Ich las es. Wie köstlich es war! Welche Aufklärung es gab! Nun wußte ich auf einmal, woran ich mit mir war! Nun mochten sie wiederkommen, diese Stimmen; ich hatte sie nicht mehr zu fürchten! Später, als er sich das Buch wieder holte, dankte ich ihm, der Freude entsprechend, die ich darüber empfand. Da fragte er mich:
»Nicht wahr, Sie waren es selbst, von dem Sie erzählten?«
»Ja,« antwortete ich.
»Haben Sie alles verstanden?«
»Nein, noch nicht.«
»Dieses hier?«
Er schlug eine Stelle auf; da war zu lesen: »Wer an diesen schweren Anfechtungen leidet, der hüte sich vor der Stelle, an der er geboren wurde. Er wohne niemals längere Zeit dort. Und vor allen Dingen, wenn er einmal heiratet, so hole er sich seine Frau ja nicht von diesem Orte!«
»Nein, das verstehe ich noch nicht,« gestand ich ein.
»Ich auch nicht,« gab er zu. »Aber denken Sie darüber nach!«
Dieses Nachdenken, welches er mir riet, führte mich zu keinem Resultate. Es handelte sich um eine rein psychologische Frage. Da ist die Erfahrung die einzige wissende Lehrerin, und diese Erfahrung mußte ich machen, ehe ich es begriff, leider, leider!– – –
VI. Bei der Kolportage .
Es war ausgestanden. Ich kehrte heim. Es war ein stürmischer Frühlingstag, es regnete und schneite. Vater kam mir entgegen. Es fiel ihm auch dieses Mal nicht ein, mir Vorwürfe zu machen. Er hatte meine Manuskripte gelesen und meine Briefe fast auswendig gelernt. Er wußte nun, daß er in Beziehung auf meine Zukunft nichts mehr zu befürchten hatte. Er kam bei dieser Gelegenheit auch auf Münchmeyer zu sprechen und darauf, daß dieser mich aufsuchen wolle.
»Das wird vergeblich sein,« sagte ich. »Dieser Mann will Schundromane, aufregende Liebesgeschichten, weiter nichts. Solche Sachen schreibe ich nicht. Er glaubt wahrscheinlich, daß ich so ehrlos bin, ihm aus dem, was man über mich faselt, einen Kolportageroman zusammenzuflicken, der ihm allerdings viel Geld einbringen, mich aber vernichten würde. Da irrt er sich. Ich habe ganz andere Zwecke und Ziele!«
Vater gab mir recht. Als wir oberhalb der
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