Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Gelegenheit ihm auch Auskunft wurde, mittelst welcher alten Beziehungen sich das In-Szene-Gehen dieses Lehniner Festes überhaupt ermöglicht hatte; in Groß-Kreuz indessen bei dem eintretenden Plätzewechsel kam Jürgaß an die Seite der Matuschka, während sich Kathinka Lewin als ihren Partner erbat.
»Du scheinst dich vor mir zu fürchten; aber das Törichtste, Freund, ist immer die Furcht. Da du mich zu wählen versäumtest, wähl’ ich dich. Und so ist es immer; das Unglück, das wir fliehen wollen, läuft uns nach.«
Und ehe noch die letzten Worte gesprochen waren, flog der Schlitten, auf dessen schmaler Holzpritsche Lewin Platz genommen hatte, die Groß-Kreuzer Eichenallee hinauf und bog dann in den schmalen Uferweg ein, der sich zwischen der scheinbar endlosen, in Eis und Schnee daliegenden Havelfläche und den verschneiten Plateauabhängen hinzog.
Sie waren schon eine gute Strecke gefahren, ohne daß ein Gespräch versucht oder auch nur ein einziges Wort gewechselt worden wäre; endlich sagte Lewin, indem er sich vorbeugte: »Gib mir deine Hand, Kathinka.«
Sie tat es, und er bedeckte sie mit Küssen. »Ich kann nicht ohne dich leben«, sprach er an ihrem Ohr. »Habe Mitleid mit mir; sage mir, daß du mich liebst. Ich solle nicht töricht sein, schriebst du, und ich solle keine Gespenster sehen. Ach, es ist an dir, Kathinka, sie zu bannen.«
Sie schwieg. Und nur das Schnauben der Pferde und das Läuten der Glocken klang durch die Öde hin. Lewin aber fühlte nichts als ihren Atem und hörte nichts als das Hämmern seines eigenen Herzens.
»Denkst du noch an Silvestertag, wo wir nach Guse fuhren und die Strophen memorierten? Es war eine entzückende Fahrt, und ich war so glücklich.«
Kathinka nickte.
»Aber Tubal war damals mit uns, und ich sagte mir hundertmal in meinem Herzen: ›Oh, daß wir doch allein wären!‹ Und nun sind wir allein, Kathinka… Du meintest, ich fürchtete mich. Ja, man fürchtet sich vor seinem Glück.«
Sie entzog ihm ihre Hand; er aber, wohl empfindend, daß es nicht im Unmut war, fuhr in wachsender Erregung fort: »Ja, allein mit dir; darin liegt all mein Glück. Ach, daß doch diese Stunde wüchse und mein Leben würde und daß ich so hinführe mit dir über die Welt, in Schnee und Wind, und nichts fühlte als dein wehendes Haar an meiner Stirn.«
Es schien ihm, daß seine Worte nicht ungehört verklangen, denn in einem andern als ihrem gewöhnlichen Tone sprach sie halbleise vor sich hin: »Gib mir die Zügel, Lewin.«
»Du hast sie, heut’ und immer.«
»Aber ich brauch’ einen freieren Arm, um sie zu führen; hilf mir dazu.«
Und er nahm ihr den leichten Seidenmantel von Arm und Schulter und legte die Zügel in ihre Hand.
Die Pferde, als empfänden sie die straffere Führung, griffen im Augenblicke rascher aus, und der im Winde rückwärts wehende Mantel umflatterte Lewins erglühendes Gesicht. Unendliche Sehnsucht erfüllte sein Herz und zuckte und fieberte in jedem Tropfen seines Bluts, als Kathinka jetzt in der Wonne des Fahrens und Dahinfliegens sich weiter in den Sitz zurückwarf und ihre Schulter leicht an seine Brust lehnte. Aber die Scheu, die sein angeboren Erbteil war, überkam ihn wieder, und es war ein einziger Kuß nur, den er zitternd auf ihren Nacken drückte.
So vergingen Minuten; dann sagte Kathinka: »Der Wind geht zu scharf, Lewin; hilf mir wieder in meinen Mantel.« Es klang fast wie Spott. Er empfand es, aber gehorchte.
Nun schwiegen beide, und über die Havelbrücken hin flog ihr Schlitten. Die Sterne standen winterklar am Himmel, die Schneefelder blinkten und blitzten, und bald auch, in silbergrauem Dämmer, stiegen wieder die Kuppeln der Communs und die breiten Massen des Neuen Palais vor ihren Blicken auf. Da war das Jägertor, und an der alten Stelle warteten die Relais. Lewin und Kathinka waren die ersten; er half ihr von ihrem Sitz und küßte ihr die Hand. Sie sah ihn groß an, aber freundlich, und sagte nur, jedes Wort betonend: »Du bist ein Kind.«
Nicht lange, so waren auch die anderen Schlitten heran; die Pferde wurden gewechselt, die Plätze auch; Tubal nahm wieder den Sitz neben der Schwester.
Und so ging es in neuem Jagen auf Berlin zu.
Sechzehntes Kapitel
Kathinka
Die Wintersterne, die während der Lehniner Rückfahrt so funkelnd am Himmel gestanden hatten, hatten einen hellen Tag versprochen, und dieser helle Tag war nun da. Die Sonne, wo sie scharf hinfiel, schmolz den Schnee von den Dächern, und als sie
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