Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
andere auf der aufgeklappten Tür stehenblieb und von Zeit zu Zeit neugierig in das Kellerloch hinunterblickte. Bald wurden Flaschen, die, weil sie weder Staub noch Spinnwebe zeigten, nicht lange an dieser Stelle gelagert haben konnten, hinaufgereicht und von dem obenstehenden Bruder in Empfang genommen, der dann mit einer Gewandtheit, an der sich die Jürgaßsche Schule leicht erkennen ließ, die Korke zu ziehen und den goldenschimmernden Rheinwein in die grünen Römer einzuschenken begann. Sein Konfrater (der mit dem brennenden Kienspan) war in dem Keller zurückgeblieben. Niemand dachte seiner mehr.
An der Tafel belebte sich inzwischen die Unterhaltung; die Damen waren ausgelassen, am ausgelassensten aber Lewin, der – nicht unempfindlich gegen das Entgegenkommen der augenscheinlich ein Gefallen an ihm findenden schönen Gräfin – vor allem in dem Bewußtsein glücklich war, sich endlich einmal Kathinka gegenüber in einer anderen Rolle als in der des von ihr verspotteten Träumers zeigen zu können. Ihre Neckereien, in denen sich mehr und mehr ein Anflug von Eifersucht oder verletzter Eitelkeit aussprach, steigerten nur sein Wohlgefühl und seine gute Laune.
»Haben Sie denn, gnädigste Gräfin«, wandte er sich an diese letztere, »das weiße Fräulein bemerkt, als wir in den Wendeltreppenturm hineinsahen? Ich schrak zusammen; es war ein vollkommenes Bild unglücklicher Liebe.«
Die Gräfin lachte; Kathinka aber sprach an Lewin vorbei: »Glaub’ ihm nicht, Wanda; er weiß nichts von unglücklicher Liebe. Ihm ist nie zu trauen, am wenigsten aber seinen Geschichten. Er erfindet sich, was ihnen fehlt.«
»Desto besser«, sagte die Matuschka. »Ich mache mir nichts aus wahren Geschichten. Die wahren Geschichten sind immer langweilig oder häßlich. Bitte, Herr von Vitzewitz, erzählen Sie mir von dem ›weißen Fräulein‹. Ganz auf Diskretion. Aber etwas recht Hübsches: Mönch, Liebe, Sehnsucht.«
»Ja, gnädigste Gräfin, da haben Sie die Geschichte schon vorweg erzählt. Mönch, Liebe, Sehnsucht, das ist alles.«
»Oh, tun Sie noch ein wenig hinzu.«
»Ich darf es nicht, so gern ich Ihnen zu Diensten wäre. Solche Geschichten sind sehr empfindlich und nehmen es übel, wenn man an ihnen rührt oder sie gar verbessern will. Das weiße Fräulein geht treppauf, treppab und sucht den Mönch, den sie liebt. Aber er verbirgt sich ihr. Um Sonnenuntergang tritt sie dann auf den Söller und breitet die Arme sehnsüchtig nach ihm aus, als habe sie ihn gesehen. Aber es war nur ein Schein. Dann setzt sie sich in den Pfeilerschatten und weint.«
»Das ist hübsch«, sagte die Matuschka, auf deren immer lachendem Gesicht es einen Augenblick wie Teilnahme oder Trauer zitterte. Denn sie war weniger glücklich, als sie schien. Kathinka aber warf den Kopf in den Nacken und sagte: »Ich höre nicht gern von unglücklicher Liebe.«
»Und doch ist die Welt voll davon«, antwortete Lewin.
»Vielleicht gerade deshalb, daß ich sie nicht mag. Es ist so alltäglich, so tödlich, immer wieder dasselbe. Ich begreife keine unglückliche Liebe.«
»Die Reichen begreifen nie, daß es auch Arme gibt.«
Aber Kathinka hörte nicht, und in ihrer Vorliebe für Paradoxien auch vor dem Gewagtesten nicht zurückschreckend, gefiel sie sich jetzt darin, ihren einmal ausgesprochenen Satz in heiterem Spiele weiter auszuführen: »Wenn Liebe nicht glücklich sein kann, sollte sie gar nicht sein. Ich entsinne mich nicht, in der Bibel (ich meine im Alten Testament, wo die Menschen noch menschlicher waren) von einer unglücklichen Liebe gelesen zu haben. David liebte glücklich, Salomo noch mehr. Wenn man etwas sagen kann, so ist es vielleicht das, daß sie zu glücklich liebten. Unglückliche Liebe ist eine neue Erfindung, wie die Buchdruckerkunst oder das Spinnrad. Ja, wie das Spinnrad. Das surrt und summt, und endlos wird der tränennasse Faden weitergesponnen.«
Die Matuschka horchte verwundert auf; Kathinka aber, durch diese Wahrnehmung eher angespornt als eingeschüchtert, fuhr in sich steigerndem Übermute fort: »Und nun gar ein ›weißes Fräulein‹, das einen Mönch liebt. Man liebt überhaupt keinen Mönch. Wenn man ihn aber liebt – und ich ertappe mich plötzlich auf der Laune, nur noch Mönche lieben zu wollen –, so muß man ihn so lieben, daß kein Kloster der Welt ihn halten und verbergen kann. Aber Pardon, Wanda! Du mußt lachen; deshalb sprech’ ich ja. Lewin bitt’ ich nicht um Entschuldigung, weil ich ihm wieder
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