Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
ansehe, daß er alles glaubt, was ich eben gesagt habe.«
Es war inzwischen immer dunkler geworden, und an der dem Kamin gegenübergelegenen Giebelwand lag nur noch ein grauer Dämmer, den dann und wann ein helleres Aufleuchten der weiter oben in der Halle stehenden Fackeln durchblitzte. Man sah auch in diesem ungewissen Scheine, daß es draußen leise zu schneien begonnen haben mußte, denn durch das offene Dach fielen einzelne große Flocken. Jeder fröstelte, und die Damen zupften ihre Pelzröcke höher an den Hals hinauf. Das war die Stimmung, die Jürgaß brauchte; er erhob sich jetzt, um nach seinen ersten, bei Beginn des Mahles gesprochenen Begrüßungsworten die eigentliche Rede des Tages zu halten.
»Es hat Ihnen gefallen«, so begann er, »in Lehnin meine Gäste zu sein, in demselben Lehnin, an dessen vor vierhundert Jahren durch Frater Hermannus aufgezeichnete Weissagungen die Feinde Preußens so oft und so frohlockend erinnert haben, vor allem in diesen Tagen der Erniedrigung, in denen gehässiger Scharfsinn herausgerechnet hat, daß jetzt die Stunde da sei, von der uns die Prophezeiung berichtet: ›Und dem Letzten seines Stammes wird das Zepter aus der Hand geschlagen werden.‹ Aber diese Feinde Preußens haben nicht zu Ende gelesen, und wir, die wir andern Sinnes sind, lesen uns eine andere, schönere Stelle heraus, in der es anschließend an jene Worte der Trauer heißt: ›Und die Mark vergißt all ihrer Leiden, und kein Fremdling darf fürder über sie frohlocken.‹ Ja, meine Freunde, diese Stunde ist da, und weil sie da ist, ruf ich in ebendieser Halle, die nun bald wieder – auch das verkündet uns die Weissagung – im Glanze eines neuen goldenen Daches in alle Lande hineinleuchten wird: Vivat Borussia! Was aber aus Nacht geboren wurde, versink auch in Nacht. Pereat Bonaparte!«
Das Pereat verklang, ohne daß es, zunächst wenigstens, beantwortet worden wäre, denn während Jürgaß noch seine letzten Worte sprach, war unten in der Halle, genau da, wo die Falltür sein mußte, ein dunkelqualmiges, aus der Tiefe kommendes Licht sichtbar geworden, und aus ebendiesem qualmigen Lichte hatte sich zittrig und wackelnd erst ein Hut von wohlbekannter Form und dann ein kurzer französischer Uniformrock erhoben, mit schlaff herabhängenden Ärmeln und allerhand wunderlichem Fingerwerk, von dem sich nicht hatte erkennen lassen, ob es menschliche Hände oder abgestutzte Wurzelzweige waren. Einen Augenblick stand die Erscheinung und sah kopf- und augenlos die Halle hinunter; dann versank sie wieder in dieselbe Tiefe, aus der sie aufgestiegen war. Und mit schwerem Schlage, der durch die Halle dröhnte, schlug die Falltür zu.
Nun erst löste sich der Bann, und die Grafen Seherr-Thoß und Zierotin, die Jürgaß zunächst saßen, wiederholten jetzt das Pereat, in das alle übrigen Gäste in rasch wiedergewonnener Tafelheiterkeit einstimmten. Nur Hirschfeldt schwieg; er hatte sich draußen in der Welt im Kampfe gegen den »großen Feind der Menschheit« einen Respekt vor eben diesem Feinde erworben, der ihn an Szenen, in denen der renommistische Ton des Regiments Gensdarmes nachklang, wenig Gefallen finden ließ.
Eine kurze Weile noch ging das Geplauder und wechselten die Reden, unter denen auch ein kurzer, in pointierter Weise gesprochener Toast Kathinkas auf den »Reisemarschall« war; dann erhob sich dieser und sagte, auf das beinahe niedergebrannte Kaminfeuer deutend: »Es erlischt, und mit ihm unser Fest.«
Und damit war das Zeichen zum Aufbruch gegeben. Als sie gleich darauf, von den Fackelträgern begleitet, paarweise die Halle hinunterschritten und an der Falltür vorüberkamen, lag diese, weil der Luftzug hier die Flocken gegen die Giebelwand getrieben haben mochte, höher unter Schnee als die andern Teile der offenen Halle. Jürgaß, der den Zug führte, wies darauf hin und sagte: »Begraben in Schnee.« Und mit diesen Worten hatten alle den Ausgang erreicht, stiegen die hohen Steinstufen hernieder und nahmen ihre Plätze in den Schlitten, die bereits vorgefahren waren.
Eine Viertelstunde später lag alles, Lehnin und seine Kirche, das Refektorium und die »Erscheinung im kleinen Hut« wie ein Traum hinter ihnen, und durch den stillen Wald hin hörte man das Gespräch und das Lachen der einzelnen Paare.
Man war übereingekommen, frischerer Unterhaltung halber an den einzelnen Stationspunkten die Plätze zu wechseln. Die Fahrt auf der ersten Station machte Lewin mit Jürgaß, bei welcher
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