Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
stehenden Häuser waren geschlossen; aber aus den herzförmigen Öffnungen fiel ein Lichtschein auf die Straße.
»Brennende Kerzen«, sagte er, »morgen früh sind sie wieder an die Wand geklappt und so schwarz wie vorher. Es ist auch lange genug, vier Stunden zu brennen. Hier wohnt der Pastor; der brennt sechs.«
Hundert Schritte hinter dem Pastorhause schloß das Dorf, und Lewin trat ins Freie. Ihn fröstelte. War es die Nachtluft, oder war es das Fieber? Er schlug den Rockkragen in die Höhe und die Mützenklappen nach unten; aber das Frösteln blieb.
»Wohin geh’ ich nur? Ich weiß es nicht. Oder ob ich umkehre? Nein. Ich kann nicht wieder in die Häusermasse hinein; sie nimmt mir den Atem, sie bringt mich um. Also weiter. Ich werde wohl irgendwo hinkommen.«
So schritt er abermals vorwärts; eine Viertelmeile, eine halbe. Nach rechts hin, an einer Biegung der Chaussee, stand der Schattenriß eines Kirchturms.
»Ich bin müde, und ich glaube fast, ich habe Hunger.«
Er setzte sich auf einen neben der Straße zusammengefahrenen Steinhaufen und sah dem dürren Laube zu, das über den glattgefahrenen Schnee hin an ihm vorübertanzte. Denn der Wind, der seit Stunden schon dichte Wolkenmassen voraufgeschickt hatte, kam jetzt selber und fegte zwischen den Pappeln hin. Es war ein Südwest, feucht und voll kleiner Regentropfen, aber einzelne dieser Tropfen gefroren wieder und schlugen ihm wie Nadeln ins Gesicht. »Tauwind«, sagte Lewin, »wie heißt es doch? Der Tauwind kam vom Mittagsmeer… ja, ich glaube, so fängt es an; aber das andere hab’ ich vergessen. Ich finde nur noch die Figuren heraus, den Grafen und den Zöllner und den braven Mann. Wer ich wohl sein mag? Der Graf? Nein. Aber der brave Mann; ja, der bin ich, das ist mein Fach.«
Er blickte die Chaussee hinauf, hinunter und sagte dann: »Es sieht aus wie die Pappelallee, die durch das Bruch führt, und der Schatten, der dort unten steht, könnte die Guser Kirche sein… Das sind nur vier Wochen, und mir ist, als wär’ es ein Jahr.« Er stützte die Stirn in seine Hand und träumte, und in seinem Traume klang es immer vernehmlicher wie leises, fernes Glockenläuten. Er horchte danach, voll wachsender Sehnsucht, und endlich war es ihm, als fühle er das Labsal einer Träne und als käm’ es wie Befreiung über sein schwerbedrücktes Herz.
Aber es sollte nicht sein; es war anders beschlossen. Das Läuten, das er nur traumhaft gehört zu haben glaubte, kam wirklich näher, und ehe er sich noch zurechtgefunden hatte, sah er von der Dahlwitzer Seite her ein Fuhrwerk zwischen den Pappeln herankommen. Sonderbar, es war kein Schlitten, wie das Geläute hatte vermuten lassen, sondern ein leichter, offener Wagen, dessen zwei kleinen Pferden, sei es aus Laune oder übertriebener Vorsicht, ein Schellengurt aufgelegt worden war. Und jetzt war der Wagen heran; die Pferde scheuten und bogen nach rechts hin aus. Auf dem Vordersitze saß ein junges Paar, er mit verschränkten Armen in einen Mantel gewickelt, sie groß und schlank, in einem enganschließenden Rock und einer mit Pelz besetzten Mütze. Die Form ließ sich nicht erkennen, aber sie führte die Zügel und erschrak heftig, als sie des am Wege Sitzenden ansichtig wurde. Erst an der nächsten Pappel wandte sie sich noch einmal um und sprach dann, allem Anscheine nach, lebhaft zu ihrem Begleiter.
Lewin sah das alles, und ohne zu wissen, was er tat, sprang er auf und suchte dem ihm rasch entschwindenden Fuhrwerk zu folgen. Er wollte rufen, schreien, aber er brachte keinen Ton hervor. Und so lief er, bis ihm die letzten Kräfte versagten und er lautlos inmitten des Weges niederstürzte.
Eine Stunde später hielt ein Schlitten vor dem Bohlsdorfer Krug; es schlug eben vom Turm. Der Knecht, der von seinem Häckselsack gestiegen war, um die Pferde abzusträngen, zählte die Schläge und brummte verdrießlich vor sich hin: »All elwen; för Mitternacht bin ick nich to Huus; awers ick kunn em doch nich liggen laten.« Damit ging er auf den Heckenzaun zu, neben dem ein paar verschneite Krippen standen, während von der Hof- und Gartenseite her die Glut eines hochaufgemauerten Backofens, in dem das Reisigholz eben niedergebrannt war, über den Zaun weg auf die Straße sah. Der Knecht starrte hinein, freute sich des warmen Hauchs und schleppte dann eine der Krippen, aus der er den Schnee durch bloßes Umstülpen entfernt hatte, bis vor sein Gespann und öffnete den Häckselsack. Die Pferde, denen es zu
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