Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
als die Schorlemmer hinaus war, seine letzten Worte und setzte dann erklärend hinzu: »Sehen Sie, mein Renatchen, mit dem milchernen ist es nichts. Ich meine den Kaffee. Sonst laß ich auf das Milcherne nichts kommen, denn es ist die höhere Stufe. Aber was ich sagen wollte. Sehen Sie, dies Franzosenvolk ist sonst nicht mein Gustus, und ihre Guillotinenwirtschaft, was sie damals ›La Terreur‹ oder, wie wir sagen, den Schrecken oder den Terrorismus genannt haben, das kann ich ihnen nicht vergessen; aber, der Wahrheit die Ehre, mit dem Cognakkaffee, da haben sie’s getroffen. Es gibt so Sachen, worin sie uns überlegen sind.«
Renate rückte ungeduldig hin und her; der alte Leist indessen schien es nicht zu bemerken und fuhr fort:
»Und es ist eigentlich nicht mehr und nicht weniger als meine Pflicht und Schuldigkeit, daß ich mich ehrlich dazu bekenne. Denn ohne diesen Cognakkaffee wär’ ich nicht mehr am Leben und säße nicht in diesem hübschen Bohlsdorfer Krug. Sie haben von Anno 93 gehört, oder quatre-vingt-treize, wie die Franzosen sagen. Sie lieben alles, was einen Schnepper hat und so ins Ohr klingt, als ob es was Apartes wäre. Und sehen Sie, damals hatten wir ja den Champagnefeldzug, und ich war auch mit, mitsamt meiner Grenadierkompanie von Alt-Larisch. Nun ja, ›Champagne‹, das klingt ganz gut, und wer es nicht besser weiß, der denkt sich lauter bauchige Weinflaschen und einen blanken Pfropfen, der mit einem Knall an die Decke springt. Aber du himmlische Güte, wir haben die Champagne ganz anders kennengelernt. Es regnete Tag und Nacht, immer Biwak und im Freien kampiert auf Kalk- und Lehmboden, der das Wasser nicht durchläßt, und ehe vier Wochen um waren, lag die halbe preußische Armee nicht mehr im Biwak, sondern im Lazarett. Und der alte Leist, trotzdem er ein Doktor war, hätte auch darin gelegen, wenn er sich nicht gehütet hätte. Denn der kannte die Lazarette, und weil er sie kannte, kroch er lieber beiseite und schleppte sich bis an ein alleinstehendes Bauernhaus, in dessen Tür er, mit Permission, eine dicke, alte Französin stehen sah. Und die hatte Mitleid mit ihm und nahm ihn auf. Und um es kurz zu machen, sie packte mich in ein turmhohes Bett, und als ich nun einen Schüttelfrost kriegte und meine Zähne, so viel ihrer noch waren, vor Kälte zusammenschlugen, da brachte sie mir einen Cognakkaffee, eine Tasse, zwei Tassen, ich weiß nicht, wieviel ich getrunken habe. Aber das weiß ich, daß ich den dritten Tag wieder auf den Beinen war. Und seitdem trink’ ich ihn in allen schweren Lebenslagen, wohin ich auch sieben Meilen bei zehn Grad Kälte rechne, erstens aus Dankbarkeit, zweitens aus Vorsicht und drittens, weil er mir schmeckt.«
In diesem Augenblick trat die Schorlemmer wieder ein, und die Krügersfrau mit dem geforderten Kaffee folgte. Neben der Tasse stand ein Glas. Der Doktor liebäugelte damit, schwankte zwischen Anstand und Begehrlichkeit, unterlag aber wie gewöhnlich der letzteren und leerte das Glas auf einen Zug. Der Mischungsprozeß war unterblieben.
Renate, deren anfängliche Ungeduld bei dem Geplauder des Alten eher geschwunden als gestiegen war, sah ihm lächelnd zu und sagte dann, ihre Hand auf seinen Arm legend: »Aber nun, lieber Doktor Leist, wie steht es mit unserem Kranken? In Gefahr?«
»Gefahr, Gefahr«, antwortete der Alte im Tone scherzhaften Vorwurfs, »werde doch nicht von Anno 93 sprechen, wenn Gefahr wäre! Nein, mein Renatchen, wenn dem alten Leist so was Bitteres auf der Zunge liegt, da schmeckt ihm nichts, und wenn es ein Cognakkaffee wäre. Wie es mit ihm steht? Gut steht es. Er schläft sich gesund. Nichts von Gefahr. Überreizung der Nerven. Das ist alles.«
Renate schwieg. Sie wollte nicht weiter forschen, da sie den Zusammenhang der Dinge zu ahnen begann. Die Schorlemmer aber, die nichts von solchen Zuständen wußte, fragte halb ärgerlich:
»Nervenüberreizung; was soll das? Woher?«
»Ja, mein liebes Tantchen«, antwortete Leist, »das ist mehr, als ein armer Doktor wissen kann. Der muß schon froh sein, wenn er erkennt, was er vor sich hat. Woher es kommt, darauf kann er sich nicht einlassen. Das weiß eben nur der Kranke selbst. Und unser Lewin wird es schon wissen und sich eines Tages unser aller Neugier erbarmen, denn eine rechte Neugiersgeschichte ist es, dessen bin ich sicher.«
Und dabei schmunzelte der Alte so listig vor sich hin, als ob er den ganzen Liebesroman von Anfang bis Ende gelesen hätte.
»Aber nun
Weitere Kostenlose Bücher