Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
rittlings auf einem Reisigbündel sitzend, eben Spielzeug für die Kinder schnitzte, rief er demselben zu:
»Wollen Sie mit?«
»Wohin?«
»Thionville.«
»Gewiß!«
Ehe zwei Minuten um waren, hatte der Angerufene, mit der ihm eigenen Raschheit des Entschlusses, die Kleider gewechselt und fuhr nun in blauer Blouse, neben seinem Quartiergeber sitzend, plaudernd und rauchend auf Thionville zu. Ohne Aufenthalt oder Schwierigkeit ging es über die Festungsbrücke fort in das Tor hinein, bis der Wagen inmitten der Stadt vor dem vielbesuchten Café Luxembourg hielt. Das Publikum desselben, so wenigstens haben später eingezogene Erkundigungen ergeben, scheint unsern Anderssen gleich von Anfang an in seiner Verkleidung erkannt, an dieser Entdeckung aber nicht den mindesten Anstoß genommen zu haben. Im Gegenteil. Mit Vorliebe wandte man sich ihm zu, eine Mitteilung, die alle diejenigen am wenigsten überraschen wird, die persönlich in der einen oder andern Eigenschaft auf dem Kriegsschauplatz anwesend waren. Denn gerade diese werden aus eigener Anschauung wissen, daß Heitres und friedlich Freundliches beständig in den furchtbaren Ernst des Krieges hineinwuchs und nur allzuoft in geradezu verführerischer Weise den einen oder andern Teil vergessen lassen konnte: dort steht dein Feind. Die Vorposten beispielsweise lebten sich kameradschaftlich miteinander ein, tranken sich zu, erwiesen sich kleine Dienste, bis dann plötzlich wieder – oft launenhaft und nach dem Voraufgegangenen durchaus unmotiviert – eine Gewehrsalve dazwischenfuhr und die Situation aufs neue klarlegte. So ähnlich scheinen die Dinge an jenem 15. Oktober auch in Thionville verlaufen zu sein. Der Nachteil, der der Stadt aus einem mit scharfem Appetit frühstückenden und mit der dame du comptoir lebhaft plaudernden Prussien erwachsen konnte, war gering, der Vorteil aber lag auf der Hand, denn man hörte doch dies und das und sah das ewige Einerlei der Tage durch einen Zwischenfall unterbrochen, der in seinem keck-abenteuerlichen Aufstutz nur um so unterhaltender wirkte. Die Nachrichten hierüber mögen nicht in allen Stücken zuverlässig sein, aber soviel wenigstens wird mit Bestimmtheit erzählt, daß die Café-Luxembourg-Gäste, unter scherzhaftem Hinweis auf seine Blouse, unsrem Fähnrich zugerufen hätten: »Passen Sie auf.« Er nahm es aber leicht und mocht es leichtnehmen, denn in der Tat, das Glück schien gewillt, für seinen Liebling noch einmal all und jedes zu tun. Nichts Störendes intervenierte, der Wagen fuhr wieder vor, Wirt und Einquartierung nahmen auf dem Vordersitz ihren alten Platz, und nach dem Café zurückgrüßend, fuhren beide die Straße hinunter auf das Metzer Tor zu, um noch vor Dunkelwerden Garsch zu erreichen. Alles ging gut; erst im letzten Moment gebar sich das Unheil. Hart am Tor, da, wo nach rechts hin die Straße in eine schmale, halb von der Stadtmauer gebildete Gasse abbiegt, stand ein Wirtshaus, aus dem der Lärm heiterer Gäste herüberklang. Einige standen an den offenen Fenstern und größten mit den Deckelkrügen. »Noch einen Abschiedstrunk«, rief Anderssen und legte die Hand auf die Leine. Der Maire war gutmütig genug, nachzugeben, man hielt, und im nächsten Moment waren beide mit unter den Gästen. Was hier nun geschah, ist unaufgeklärt geblieben; zehn Minuten später aber sah sich Anderssen als preußischer Spion und Mr. Bauer als sein Complice verhaftet. Die Bierhausbevölkerung war eben eine andere als die im Café Luxembourg. Im allgemeinen wird man sagen können: Alles wohletabliert Imperialistische trug uns im stillen Sympathien entgegen. Alles Gambettistisch-Republikanische stand gegen uns.
Unter dem Jubel Hunderter, die mit jedem Schritt anwuchsen, wurden die beiden Gefangenen nach dem Arresthause gebracht.
Am 24. trat ein Kriegsgericht zusammen, das über den Fall aburteilen sollte. Trotzdem diesseitig ein die »exzentrische Natur« des Angeklagten ebenso wahrheitsgemäß wie geflissentlich hervorhebendes Schreiben an den Kommandanten von Thionville, Oberst Turnier, gerichtet worden war, sah sich das Kriegsgericht dennoch nicht veranlaßt, eine mildere Beurteilung des Falles eintreten zu lassen. Es konnt es nicht, weder nach Lage des Gesetzes noch der Situation. Am 29. früh, am Tage nach der Kapitulation von Metz, wurde das auf »Tod durch Erschießung« lautende Urteil vollstreckt. Das gleiche Los traf seinen Wirt, Mr. Bauer. Alles, was noch zu erzählen bleibt, ergibt sich am
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