Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
besten aus einzelnen Schriftstücken, die vorliegen: zwei Briefe Anderssens an seinen Vater und ein amtliches Schreiben des Obersten Turnier an den Kommandanten des 4. Ulanenregiments. Ich gebe diese Schriftstücke:
»Lieber Papa! Ich schreibe Dir und wünsche, daß Du zuerst diesen Brief liest, um Mama vorbereiten zu können. Das Kriegsgericht hat gesprochen. Ich bin zum Tode verurteilt. Ich kann mir Deinen Kummer denken; ich fühle es recht, mein lieber Papa. Du bist stets so gut zu mir gewesen! Ich hab es Dir nie genügend gedankt. Es ging mir zu gut. Jetzt, wo ich in meiner Zelle sitze und diesen Brief auf den Knien schreibe, fühl ich erst, was ich an Euch verliere. Jetzt, wo es zu spät ist, erkenn ich, was Ihr mir gewesen seid. Es rührt mich, wenn ich daran denke, mit welcher Freude Du mir den geringsten Wunsch erfüllt hast und wie Mama für mich gesorgt. Wer hätte das gedacht, lieber Papa, als wir uns zuletzt auf dem Bahnhof in Berlin sahen, daß wir uns nie wiedersehen würden. Das ist eine schreckliche Strafe für mich!… Ich bin hier allein, ohne einen Menschen, der ein Herz für mich hat; welche Sehnsucht hab ich, Euch zu sehen. Ich hab an den Prokurator der Republik geschrieben, daß mir das Medaillon und zwei Briefe von Euch, die ich bei mir hatte, im Gefängnis gelassen würden. Man hat sie mir geschickt…. Die Stadt ist zerniert…. Es ist mir rätselhaft, wie ich auf diese Tollkühnheit gekommen bin.
Der Kommissar der Republik, ein Offizier der Garde mobile, besucht mich alle Tage und hat mir versprochen, Briefe, die ich verschlossen abschicken will (das heißt, ohne daß sie jemand vorher liest), für mich zu besorgen. Auch wird er die Sachen, die ich mitgebracht habe, Euch zukommen lassen. Es sind dies: Uhr, Kette mit Petschaft, Medaillon und Kompaß, eine Brieftasche, Notizbuch, Zigarrentasche und mein Taschenmesser, der vielgenannte ›Rippespeer‹. Wenn es nicht früher geht, werdet Ihr sie nach dem Kriege bekommen. Da das Geld, was ich mitgebracht habe, nicht reichen wird, so werd ich eine Bescheinigung zurücklassen für das, was man für mich ausgelegt hat. Sei so gut und gib meinen kleinen Revolver an Dr. Stich. Er soll ihn als Andenken behalten, den ›Rippespeer‹ auch. Meine andern Sachen werden Euch wohl vom Regimente zugeschickt oder später gegeben werden. Meinen letzten Brief hab ich am 15. geschrieben und Dich gebeten, mir eine neue Uniform zu schicken. Als ich den Brief schrieb, hab ich nicht gedacht, daß ich drei Stunden später in Thionville sein würde. Es ist merkwürdig, wie dieses Geschick so plötzlich über mich hereingebrochen ist. Wenn ich wenigstens vorher mir Zeit genommen hätte, nachzudenken und mich auf die Folgen gefaßt zu machen. Ich könnte wenigstens sagen, es sei meine Schuld. Es wär aber dann gar nicht passiert. Ich wundre mich selbst, daß ich keinen Menschen um Rat gefragt habe; man hätte mir doch entschieden abgeraten. Es ist aber auch möglich, daß ich es trotzdem getan hätte; dann würd ich mir noch mehr Vorwürfe machen. Ich kann mir nicht klarwerden darüber. Das Ganze ist nicht weniger sonderbar, als wenn ich jetzt plötzlich bei Euch sein würde. Was man nur bei meinem Regimente davon denkt! Auf alle Fälle wär ich noch vor das preußische Kriegsgericht gekommen. Es wär aber doch besser gewesen, ich hätte Euch wenigstens wiedergesehen.
Ich bin verurteilt worden nach dem Artikel 207, der wörtlich lautet: ›Est puni de mort tout ennemi, qui s’introduit déguisé dans une place de guerre‹ etc. Man hat keine mildernde Umstände anerkannt.
Ich nehme jetzt Abschied von Euch, meine lieben Eltern. Es ist mir recht traurig zumute. Ich weiß, daß Ihr mir verzeihen werdet. Es wäre so schön, wenn wir uns wiedersähen! Wenn ich aus dieser Lage gerettet worden wäre, ich hätte mich bemüht mich stets dankbar gegen Euch zu bezeugen. Es wird mir so schwer ums Herz, daß ich so weit von Euch auf so traurige Weise aus dem Leben scheiden muß. Dieser Brief ist wahrscheinlich der letzte, den Ihr von mir empfangt. Grüße alle Bekannte, Stich, Wilhelm, Wally und Anna. Es ist mir so schmerzlich, wenn ich Eure Bilder in dem Medaillon betrachte!
Ich danke Euch für alles Gute und alle Liebe, die Ihr mir bewiesen habt. Tröstet Euch, meine lieben Eltern. Ich habe noch zwei Briefe von Mama; ich lese sie oft; es gibt mir Trost. Nach dem Kriege werdet Ihr das Medaillon erhalten. Ich weiß noch, lieber Papa, als Du es mir gabst, sagtest Du:
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